Mittlerweile bin ich im Besitz eines gut intonierten Ein-Frage-Katalogs, der mir hilft, ziemlich gelassen auf diese Besorgnis zu antworten. Die ungläubige „Reist-du-etwa-allein?“ - Frage ist die der unzertrennlichen Paare des All -Inklusive -Traums. Oder die „Hast-du-keine-Angst-so-allein- unterwegs?“- Frage ist die derjenigen, die ewig nur die schaurigen Abgründe des Lebens sehen. „Ich kann mir das gar nicht vorstellen, allein zu reisen!“ Das ist fast rührend, weil es meist die zukünftig Alleinreisenden sagen, die Mut finden loszuziehen. Und dann die besorgte Beschützer- Variante: „Reisen- Sie- allein- oder...???“... naja, was soll`s!
"Eine Reise ist wie eine Ehe: Die sicherste Art zu scheitern ist zu glauben, man habe sie fest im Griff." Aus: Reise mit Charley von John Steinbeck
Die Antwort liegt immer im Sinne des Betrachters. Mit meinem Single-Preis-Aufschlag-Ticket in der Hand, das Gepäck, das ich übersichtlich packe, weil es ausnahmslos auf meinen Schultern bleiben muss, ein doppelt so großes wie unnützes Bett in irgendeinem Hotelzimmer ... ja, das ist wahrhaftig ein mitunter bedauerlicher Single-Notstand. Da hilft meist der Blick auf das Gute: immerhin hab ich noch DAS Einzelticket bekommen– yess! Ein Himmelbett für mich allein – wow!
Meistens aber schätze ich es, ohne ein nörgelndes" Warum-jetzt- anders?" im Nacken, die vorgesehenen Routen beliebig zu ändern, um an magischen Orten innezuhalten, einfach stehenzubleiben, ungestört zu entdecken, was sich mir unerwartet so eindringlich in den Weg stellt. Unvorhergesehen verschiebt sich die Zeit auf später, weil fremde Menschen, gleich welcher Motive mir viel zu erzählen haben und ich ihnen. All das kann ich fraglos und unbedrängt geschehen lassen. Wenn tiefe Glückseligkeit aus mir ungestört herausströmen will, dann scheint es mir ein unschlagbares Privileg zu sein, mit mir selbst und meinen Glückstränen zu sein.
Es ist mehr als all das. Es ist eine tiefe Zufriedenheit über so viel mögliches selbstbestimmtes Leben, über scheinbar grenzenlose Freiheit.
Alleinsein heißt ganz sicher nicht sich einsam zu fühlen.
Ab und zu überkommt mich die Sehnsucht, diese überwältigen Eindrücke teilen zu können. Es gibt bestimmt jemanden und eben gerade unterwegs, der ohne die oft schrillen Töne von Worten auf die gleiche Weise still mit mir spürt oder sogar ähnlich berührt wird. Diese Menschen trifft man dann auf der Reise...
Richard war mein Seelenflüsterer, mein Mentor und das Beste, was mir auf meiner ersten Auszeit passierte. Ich begegnete ihm im Norden Mexikos, auf der Halbinsel Yucatan während des letzten Drittels meiner Reise, etwa im April 2013.
Er erschien zur rechten Zeit, er war einfach nur da, er blieb lange genug.
Richard sah still all meine Kümmernisse der Trennungsjahre, ohne mich ihm "en détail" offenbaren zu müssen. Er half mir, sie zu begreifen, sie loszulassen, zu gesunden. Er blieb, um mit mir zusammen neue Kraft zu finden, das verheißungsvolle Leben vor mir zu entdecken mit seinen so leichten und eindringlichen Weisheiten. Er wusste, mir auf eine befreiende Weise wieder atmen zu lernen.
In seinem früheren Leben arbeitete er als Krankenpfleger im sonnigen Kalifornien der USA, bevor er sich entschloss, auf eine lange Reise zu gehen. Als ich ihn traf, war er bereits sieben Jahre unterwegs. Den zweijährigen Versuch, seiner koreanischen Liebe wegen in China Fuß zu fassen, hielt er für gescheitert. So traf er ein paar Wochen später in Mexiko ein, um auf seine Liebe zu warten, die ihm folgen wollte oder vielleicht auch nicht.
Im idyllisch gelegenen Hinterhofgarten des Monkey Hostel kamen wir ins Gespräch. Er sprach mich mit seinem wohlklingenden Stimme und einen gepflegten(!) Amerikanisch an. Nie hegte er Zweifel an meinem geradebrechten Englisch. Er verstand irgendwie immer. Später erwähnte er einmal beiläufig meinen „charming french accent, but it‘s okay“. Richard spazierte mit mir unbekümmert durch Mérida. Wir ließen uns nicht beirren von den touristischen Attraktionen, die in Flyer beworben wurden. Ich taumelte fasziniert durch die nächste Stadt auf dem Weg meiner Reise. Auch Richard sah vieles mit immer noch kindlichem Staunen und dann wieder mit einem überraschend nüchternen Blick. Wir wägten ab, was sehenswert war, genossen die Musik auf einem kleinen Platz mitten im Treiben der Altstadt lieber als die tausendste Tonscherbe aus früheren Gräbern im Stadtmuseum. Sogar die wundersame Pyramide in Chichen Itza, die wir ein paar Tage später gemeinsam besuchten, schien uns weniger zu beeindrucken als der Horde Touristen auf dem Terrain. Richard lehrte mich das Reisen. Er öffnete mir den anderen Blick auf die Welt und ließ mich die unscheinbaren Dinge wertvoller erscheinen.
Wir genossen eher das wahrhaftige und unbeschwerte Leben dieser Einheimischen, flanierten durch die Straßen und über die Plätze und blieben für eine Plauderei und für das Philosophieren gern mal irgendwo auf einer Bank sitzen. Dann erzählte mir Richard eine seiner Reiseabenteuer, von der Hoffnung, einen Ort zu finden, wo er seine Wanderschuhe für immer auszieht, um mit seiner Liebsten doch noch sesshaft und glücklich zu werden.
Richards Sanftmut und seine Unbekümmertheit holten mich aus meinem ständig hadernden Zustand, Seine Begleitung sog aus mir die ganze Angespanntheit eines absurden Trennungsdramas, die meinen Körper schon so lange zuschnürte . Meine erstarrte, schmerzende Wirbelsäule schien sich aufzurichten für einen frischen Blick zum Hier und Jetzt. Mein verbittertes Herz begann mir selbst gegenüber milde zu sein.
Dann zelebrierten wir in einem wunderbaren Restaurant auf der Isla Mujeres unser gutes Leben. Ich erinnere mich an die untergehende Sonne, die in einen Hamburger gequetscht schien.
Richard hat seine große Liebe schon bald geheiratet und lebt mit ihr glücklich in Ecuador. Ich hoffe, dass er irgendwann diese Zeilen lesen wird.
Nach Richard schien alles leichter, was vor mir lag. Wir nahmen endgültig Abschied auf dem Flughafen von Cancún. Er winkte mir lange nach, bis er hinter den unüberwindbaren Grenzschranken verschwand. So versteckt schossen mir Tränen ungehemmt in die Augen, nicht weil ich unendlich traurig war, sondern glücklich und dankbar, Richard begegnet zu sein. Ich halte ihn schon so lange und bestimmt immer fest in meinem Herzen.
"Eine Reise ist ein vortreffliches Heilmittel für verworrene Zustände." Franz Grillparzer
Auf meinen Reisen begegnen mir immer wieder solche liebenswerten Menschen, die mich nicht allein sein lassen. Gelegentlich werde ich von ihnen erzählen...
von Jessica, meiner talentierten Maestra, den Kindern von Playa Colorada, Carlos, dem Hotelbesitzer in Caripe, der mit mir durch die abendlichen Straßenfeste wirbelte, Nancy, meiner taffen, kanadischen Tauchlehrerin, den kreischenden Señoras vom "Club de las solteras" an der Bar des Hotels "Golden Paradise" auf der Isla Margarita mit ihren "schmacken" Witzen, Juan, meinem Strandkeeper, der mich mit "refrescos" versorgte (oder gern auf mich aufpasste?).
Hellmut und Tylo, zwei rüstige Hamburger Freunde, die seit Jahren immer mal wieder auf der Panamérica- Route zusammen reisen.
Hermana Mónica, dem wahren Engel aus dem Kinderkrankenhaus Baca Ortiz in Quito und Waltraud, einer deutschen Christin in Auszeit, meiner "roommate" Maria, Richard (der zweite!), besorgter Umweltaktivist und Patron der Bellavista Lodge im Nebelwald Ecuadors,
Marío, ein stolzer Maya und mein Guía hinauf zum Nariz del Indio am Lago de Attitlan,
Roberto, Pilot auf Geschäftsreise in Flores
... und so vielen anderen einzigartigen Menschen, ohne die ich nur halb so viel erfahren und Spaß gehabt hätte.
"Wenn du die Speisen ablehnst, die Brauchtümer ignorierst, die Religion fürchtest und die Menschen meidest, bleibst du lieber Zuhause." - James Michener -
Dein Gesicht strahlt vor Glück, Erholung und Gelassenheit in deinen Bildern! Schön! Freue mich dich wieder so strahlen zu sehen :)