Nach einer extrem sportlichen Wandertour in Patagonien mit manchmal eisigem Wind, Regen und Schnee erwartet mich der kleine Badeort Viña del Mar, etwa zwei Stunden weiter westlich von Santiago mit sommerlichen Temperaturen um die 30 Grad und strahlender Sonne.
Viña del Mar
Die holprige Hinfahrt , die sich verzögert durch Straßensperrungen und Busausfällen wegen des Generalstreiks in Santiago, bringt mich nicht aus der Ruhe. Es regelt sich hier manches unaufgeregter als man denkt. Und nachdem mir ein Weiterkommen für den Tag als unmöglich vorausgesagt wird, steht plötzlich doch ein Bus am Bahnsteig und bringt mich wenigstens bis an die Stadtgrenze von Viña del Mar.
Von dort aus heißt es "wandern" bis zum Hotel, das nun ausgerechnet im Stadtteil hinter den gerade lebhaften Protestmärschen liegt, die sich in der City gruppieren. Ich durchquere also mutig und dann auch wieder fasziniert die protestierende Menge, die tanzt und singt und sich so einig fühlt. Obwohl die meist jungen leidenschaftlich Demonstrierenden gerade in diesen Tagen mit ihrer Beharrlichkeit politisch schon viel erreicht haben, bin ich doch traurig beim Anblick zweier geplünderter Supermärkte und der vielen zerstörten Ampeln, Straßenbeleuchtungen, Stromkästen und den verwüsteten Plaza de Armas.
Viña del Mar gilt als mondäner Urlaubsort an einer Bucht des Pazifiks. Die riesigen Hoteltürme und schicken Penthouse-Etablissements an der Strandpromenade geben diesem Eindruck mehr als recht. Am Anfang der fast zwei Kilometer langen Promenade steht das protzige Casino de Mar, die Spielbank, die schon im Jahre 1929 eröffnet wurde.
Das fast trockene Flüsschen Marga-Marga durchfließt den Ort, der ehemal als Vorort des benachbarten Valparaiso war und später ein eigenes Stadtrecht erhielt.
Es ist schon ein sonniges Gefühl im November bei sommerlich heißen Temperaturen den Strand zu genießen und durch einen kräftig und farbenfroh blühenden Ort zu spazieren, ein Eis zu schlecken oder ein frisches kühles Bier zu zischen oder den guten chilenischen Rotwein der Region zu probieren.
Das Pferdegespann verlockt auf eine sommerliche Ausfahrt in das alte Viña.
So komme ich in diesem Jahr mal um den trüben Novemberblues herum.
Das Wahrzeichen der Stadt ist die "Muelle Vergara" mit ihrem Kran, der Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge des industriellen Fortschritts von Engländern erbaut wurde, um das Entladen der Kohleschiffe zu erleichtern. Nachdem er zusammenfiel, wurde er unter der Regierung Michelle Bachelets 2016 als chilenisches Kulturerbe restauriert.
Nachmittags verdunkeln Feuerschwaden den Himmel, die von einem Waldbrand in der Nähe von Valparaiso heranwehen. Das Feuer ist zeitweise außer Kontrolle, die Route nach Santiago unpassierbar und die Atemluft unerträglich. Ich hoffe, das ist in zwei Tagen in den Griff zu bekommen. Auf dieser Fernverkehrsstraße fährt mein Bus zurück nach Santiago... Aber wie schon erwähnt: Es löst sich alles unaufgeregt und ohne Panik!
La Serena
La Serena mag vielleicht weniger Fassadenschnörkel und protziges Schickimicki zeigen als das Städtchen Viña del Mar, hat aber dennoch als friedvoller Badeort allerhand zu bieten. Von Santiago fahre ich gut sieben Stunden Richtung Norden recht gemütlich im Bus die Panamerica entlang und lande in einem Souterrain-Appartement direkt am Pazifik.
Die zweitälteste Stadt Chiles strahlt, wie ihr Name verbürgt, ruhige Gelassenheit aus. Vielleicht liegt es an ihren endlos weiten Sandstränden hinunter bis nach Coquimbo, den etwas schickeren Teil des Badeortes mit einem imposanten Spielkasino und modernen Hotelgiganten.
Es weht oft ein kräftige Seebrise, so dass ich eher die langen Spaziergänge am Strand dem Sonnenbaden, oder eher dem Sandbaden, auf dem Handtuch vorziehe. In beiden Richtungen erstrecken sich kilometerlange, auch einsame Strände. Hier kann ich sogar bedenkenlos barfuß joggen. Das hat mir wirklich gefehlt.
La Serena hat ein ansehnliches Stadtzentrum im kolonialem Stil. Es soll mehr als 20 Kirchen geben. Wer die wohl alle besucht? Auch hier stoße ich auf einen der immer noch in ganz Chile aktiven Protestmärsche, dem ich schnell aus dem Weg gehe. Später zünden die berüchtigten "Saqueadores" (Plünderer) das Hotel Costa Real in der schönen alten City an und zerstören nicht nur das, sondern auch einige Arbeitsplätze. In den Nachrichten hörte ich, dass die Arbeitslosigkeit im Zuge der destruktiven Ausschreitungen um 10 % gestiegen ist.
Eigentlich habe ich auch gar keine Lust auf ein Sightseeing, sondern freue mich auf sonnige und "unbewegte" Strandtage, die mir endlich mal etwas Zeit bringen, auf die Reiseerlebnisse in Chile zurückzublicken, über die Ereignisse gemütlich nachzudenken und das nächste Ziel zu planen. Dafür das Meer in La Serena zu wählen ist ein sehr vernünftige Entscheidung.
Ich blicke zufrieden auf das Ende meiner Reise durch die unendlichen Weiten von Chile,
diesem wunderbaren Land mit jeder Menge Charakter und überaus freundlichen Menschen! Eine Rückkehr nach Chile, um die unentdeckte Einsamkeit der Atacama -Wüste und den Charme des Nordens zu erleben, steht ganz gewiss auf dem Reiseplan der Zukunft. Hat vielleicht jemand Lust auf ein solches Abenteuer?
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