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  • AutorenbildSylvia Thiel

Bei Señora Ana in Málaga - Ende März 2020

Aktualisiert: 20. Apr. 2020


Málaga wählte ich nicht zufällig für die Rückkehr nach Europa. Vor einigen Jahren verbrachte ich in dem kleinen Strandort La Cala Del Moral östlich von Málaga ruhige Ferientage in der milden Aprilwärme Andalusiens. Es blieb mir in guter Erinnerung und setzte mir die Idee einer Rundreise durch Andalusien in den Kopf ... irgendwann einmal. Et voilà!



Die Zeichen stehen auf Frühlingswetter als ich bei Ana ein Airbnb-Zimmer im Vorort El Palo miete. Sie ist ein "Superhost", was bedeutet, dass sie sich mit Herz und Seele um ihre Gäste kümmert. Nach langen acht Monaten in der Ferne klingt das, als wenn es sich gut für mich anfühlt und ich genau das brauchen könnte: heimkommen und sich verwöhnen lassen.


Die Begegnung mit Ana sollte sich bald als ein wahrer Glückstreffer erweisen.

Ana empfängt mich mit einem schwäbisch gefärbten Deutsch in ihrem reizenden Maisonette-Appartement und begleitet mich in mein helles und geräumiges Zimmer in der unteren Etage. Wir werden verfolgt von zwei neugierigen kleinen Tigern, die sich sogleich über mein Gepäck auf der Suche nach ... ja wonach eigentlich? ... hermachen.

Ich fühle mich sofort heimisch, vertraut und lieb umsorgt. Ihr Deutsch, das gebe ich zu, erzeugt in mir ein wohliges Gefühl und verhilft mir nach monatelangen mehrsprachigen Kauderwelsch mit luftigen Inhalten wieder zu wahrhaftig gehaltvollen Gesprächen in ganzen Sätzen.


Die resolute Ana ist Mitte 70, kommt ursprünglich aus dem Saarland und lebt seit über 50 Jahre in Spanien. Eigentlich fühlt und denkt sie mehr spanisch als deutsch. Sie kam Mitte der 60ger Jahre her, um Spanisch zu lernen, ging zunächst zurück nach Deutschland und dann für ein Jahr nach England, wo sie als Au pair arbeitete.

Es zog sie nach Spanien zurück, wo sie eine Anstellung bei der Porzellanfirma Rosenthal in Madrid fand und sich hocharbeitete bis in die Chefetage. Als die Firma aufgab, tat Ana das noch lange nicht. Sie machte sich mit Porzellangeschirr und Wohnaccessoires selbständig, bereiste aus beruflichen Gründen ganz Spanien und führte erfolgreich ihr eigenes Geschäft, bevor sie den Chefsessel weitergab und Anfang der zweitausender Jahre sich schließlich ganz zurückzog.


Sie heiratete Alberto und lebte mit ihm und ihrem Sohn Daniel in Madrid. Sie trennte sich später von ihrem Mann. 2015 wagte sie mit dem Schritt in den verdienten Ruhestand auch den Umzug nach Málaga und erwarb diese hübsche Maisonette- Wohnung mit gemütlicher Dachterrasse, Meerblick inklusive, nicht weit von der Strandpromenade des behaglichen El Palo.


Je nach Anfrage teilt sie diese Gemütlichkeit mit ihren Gästen aus aller Welt. Ich verbringe zunächst neun Tage bei ihr, genieße die ersten warmen und sonnigen Tage am Strand manchmal bei einem Glas Sangria oder einem Capuccino. Endlich bleibt mir Zeit, Málaga und seine Sehenswürdigkeiten zu entdecken, die Geschäfte und den Markt von El Palo zu inspizieren, um den Inhalt meines Reisekoffers aufzupeppen.


Anas Erzählungen über Andalusien wecken immer mehr meine Lust auf eine Rundreise, die ich in Málaga ungeachtet des stärker werdenden Coronawindes Richtung Granada starte, bis ich ich schon bald in Córdoba strande, wo die drohende Ausgangssperre mich nach einem verzweifelten Hilferuf wieder schleunigst zu Ana zurückkehren lässt.


Anas bedingungslose Aufnahme ist meine Rettung für die nächsten fast drei nervenaufreibenden Wochen, bis ich nach Deutschland zurückzukehren kann.

Meine Flüge werden oft kurzfristig storniert oder umgebucht . In Chats sind die Roboter überfragt, Hotlines bleiben stumm, Emails unbeantwortet. Ob ein angebotener Flug im Internetportal überhaupt noch existiert ist ungewiss. Die Preise steigen nun erst recht.

Ich trage mich in die Krisenliste des deutschen Konsulats von Málaga ein, bekomme zwar eine Menge Updates, aber letztendlich den Rat, mir selbst irgendwie zu helfen, da man meine Herberge derzeit für ziemlich geschützt hält und nicht als Notfall gilt.


Ana beruhigt mich immer wieder. Wir beide versuchen, die Dinge positiv zu sehen und im Rückblick bin ich ihr sehr dankbar für diese lehrreiche Zeit, die mich zwei Wochen vorher hat wissen lassen, was mich dann in Deutschland in Sachen Corona erwartet.


Wir arrangieren uns, wachsen zusammen in der Not und werden ein eingespieltes Team, in dem wir die Aufgaben gut verteilen, uns stundenlang über unser beider Leben oder spanische und deutsche Lebensgewohnheiten austauschen, aber uns auch zurückziehen, um eigenen Beschäftigungen nachzugehen.


Mehr um Ana zu schützen und auch ein wenig aus purer Neugier gehe ich in den wenigen offenen Supermercados und Fruterias einkaufen. Die Regeln des Abstandhaltens sind ungewohnt.


Das Viertel El Palo wirkt gespenstisch, der Strand ist abgesperrt und menschenleer.




Ana findet Spaß am Kochen und meine vegetarische Essgewohnheit wird zu ihrer persönlichen Herausforderung.

Beim Apple Crumble allerdings verzweifelt sie. Mir schmeckt er trotzdem.

Ich mag das gemeinsame Essen sehr, das mit einem Glas Wein gekrönt wird und die Zeit unbemerkt von unserem ungebremsten Geschnatter davonrennt.


Ana sieht gern ihre Krimiserien und Soaps am Nachmittag. Abends, nach dem Beifall klatschen auf dem Balkon als Geste des Dankes für die Helden der Krankenhäuser und Rettungsdienste, sitzen wir gemeinsam vorm Fernseher, um die aktuellen Nachrichten zu schauen. Prudi und Bonnie, die mir lieb gewordenen Katzenmänner schmiegen sich an uns oder machen es sich auf ihren Stammplätzen gemütlich.


Die Lage in Madrid und Katalonien ist dramatisch und um so beunruhigender, da Anas Familie dort im strengen "Hausarrest" lebt. "Queda en casa." wird immer wieder gepredigt. Wir haben wenigstens noch den Sonnenschein auf der Dachterrasse. Die täglichen Telefonate mit ihrem Sohn gehören für Ana zu einem weniger kummervollen Alltag, wie auch der rege Kontakt mit all ihren Freunden und Verwandten.


Ana sprüht voller Energie und zeigt viel Mitgefühl. Sie macht sich Gedanken, wie sie mit ihrer Asunción de vecinos, ihres Vereins für Nachbarschaftshilfe, in dem sie sich seit ihrem Umzug engagiert, Mundschutzmasken für ältere Menschen besorgen kann, organisiert Nähmaterial und kümmert sich um die Logistik der Herstellung und Verteilung. Sie ist trotz Ausgangssperre vielbeschäftigt.


Und sie nimmt sich Zeit für mich, hört mir zu, versteht meine Bedenken, gibt mir Ratschläge, versichert mir, dass ich bei ihr geschützt bin, solange es notwendig ist.



Sie erklärt mir, dass sie selbst ebenfalls beruhig ist, diese dramatische Zeit mit mir teilen zu können. Ana sucht gern Gesellschaft.


Manchmal bin ich tief berührt, wenn sie mir Begebenheiten aus ihrem Leben, von früheren Begegnungen mit vertrauten Menschen oder ihre traurigen Erinnerungen erzählt, die sie betroffen machten oder verletzt haben, die sie tief in ihrem Herzen verschloss und die sie sich nun traut preiszugeben, obwohl ihr dann manchmal ungewollt ein paar Tränen in die Augen huschen oder sich ein Schluchzen löst. Ich habe sie in diesen Augenblicken in Gedanken umarmt und sie bewundert. Ich finde, dass diese taffe Dame vor mir, sich sehr clever und couragiert durch die Talfahrten ihres Lebens geschleust und immer wieder aus eigener Kraft ihre Krone gerichtet hat.


Am 1. April bringt mich der vierte Versuch einer Flugbuchung über Stuttgart nach Berlin zurück. Ana zittert mit mir zusammen bis zum Abflug und begleitet mich per Whatsapp bis in den Flieger. Wir nehmen Abschied nicht ohne beiderseitiges Bedauern.

Meine Bedenken waren nicht, mit Ana zusammen diese Coronakrise gut zu überstehen. Meine Unruhe, schnell nach Deutschland zurückzukehren, galt vielmehr meinen Kindern und meiner Familie, der Sorge, im Falle eines Falles nicht bei ihnen sein zu können. Es war nicht Heimweh, was mich trieb, das nennt man wohl eher Menschenweh.


Ana hasst, wenn man ihr tausendfach dankt...


Danke, liebe Ana.

Es gibt Menschen, die das Leben wert war zu treffen.

Du bist zweifellos einer dieser liebsten Begegnungen in meinem Leben und hast immer einen Platz in meinem Herzen.




Liebe Ana!


Diesen Artikel widme ich dir und bedanke mich für eine neue wundervolle Freundschaft.

Da ich weiß, wie du mühsam, aber dennoch geduldig deine Lupe über diese Zeilen ziehen wirst, lass mich den geschriebenen Dank für dich selbst vorlesen. Schau in dein Handy!








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