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  • AutorenbildSylvia Thiel

Es gibt nur einen Weg zurück - April 2020

Aktualisiert: 29. Apr. 2020


Ich erinnere mich, dass ich Anfang Januar in Olinda, als ich mit den Kids sehr kontrovers über meine weiteren Reisepläne sprach, nachts wach lag und lange den Vollmond über der Stadt anstarrte (oder er mich). Sein Licht leuchtete auf die entscheidende Stelle, die mir eigentlich immer den Weg zu einer guten Entscheidung weist: auf meinen Bauch.


Der Gedanke, meine Reise in Europa fortzusetzen, gefällt mir immer mehr.


Die Karnevalferien in Brasilien lassen die Preise für Flugtickets und Hotels in die Höhe schnellen. Mexiko scheint mir weiter weg als Europa und umständlich erreichbar.

Mir verging die Lust auf tagelanges Fliegen und den ganzen Flughafenstress.


Das was ich dort in Mexiko zu entdecken glaubte, die Welt der Kunst Lateinamerikas, fand ich bereits auf eine besonders persönliche Weise hier in Olinda und in Recife.


Mexiko- City, das Casa Azul von Frida Kahlo und Diego Riviera, die schönsten Strände Mexikos werden auf mich warten müssen. Irgendwann später werde ich sie bestimmt erobern.


Dann waren noch all die unvergesslichen Eindrücke der Reise bisher:

Cotopaxi, Chimborazo, Patagonien, Rapa Nui, Santiago de Chile, Buenos Aires, Iguazú..., ich halte immer noch den Atem an, wenn ich zurückschaue und finde nie Zeit, auszuatmen, zu sortieren, nachzuspüren, die Bilder im Kopf zu Ende zu genießen.

Alle meine Sinne sind gesättigt, satt, matt. Weniger ist mehr! Zeit, umzukehren.

"Outzeit, der Plan" ist nicht erfüllt. Na und? Pläne ändern sich halt.

Ich hatte das Beste vom Besten. Ein Südamerika zur rechten Zeit. Ein Abenteuer mit atemberaubenden Bildern, unvorhersehbaren Ereignissen und ziemlich schräger Action.

Es bleiben Lücken, sicher. Aber sie erhalten mir auch meine Reiselust in der Zukunft und stehen weiter auf meiner "Bucketlist". Todo tiene su tiempo. Alles braucht seine Zeit.

Schließlich treibt mich noch ein anderer Gedanke, Europa zu bereisen.

Ich sehe mit kritischem Blick und Argwohn, die Auswirkungen der dreihundert jahrelangen Conquista, die lateinamerikanische Gesellschaften so weitreichend verändert und geprägt haben. Sie hat ihre Kultur tiefgreifend umgestaltet, ja zerstört, die Menschen ihrer Identität und ihrer ursprünglichen Zuwendung zur Natur beraubt. In keiner meiner Reisen zuvor spürte ich in ihnen teils eine stille resignierende Demut, teils geringschätzenden Neid und eine mir so berechnend erscheinende Hilfsbereitschaft mit meist monetär aufhaltender Hand gegenüber den "Gringos" aus Europa, die mich beschämte.


Ich erinnere mich an einen sehr emotionalen Kinobesuch in meiner Jugend, als mich der britische Film "The Mission" (1986) tief bewegte. Der Oscar preisgekrönte Film von Roland Joffé erzählt die wahre Geschichte über die aufreibende Missionierung der indigenen Guaraní durch einen Jesuitenordens im Gebiet der Iguazú-Wasserfälle. Später wurden sie von den portugiesischen Eroberern gewaltsam versklavt, wogegen sie sich tapfer wehrten und dennoch brutal niedergemetzelt wurden. In den Hauptrollen spielen der wie immer großartige Robert de Niro und ein ebenso überzeugender Jeromy Irons. "Gabriel´s Oboe" (Ennio Moricone) betörte die Guaranis genau wie mich noch heute.



Es verärgert mich aktuell einmal mehr von missionierenden Patern zu lesen, die den Corona-Virus in die indigenen Völker des brasilianischen Urwalds tragen oder wenn profitgierige Geschäftemacher zunehmend indigene Wächter hinterhältig umbringen lassen, um an deren geschützte Gebiete zu kommen.

Vielleicht scheint insofern die Zeit reif und die Erfahrung hilfreich zu sein, den Ursprung dieser düsteren Kolonialgeschichte in den einst so mächtigen europäischen Königreichen Spaniens und Portugals in der Tiefe zu erkunden und zu verstehen.

So höre ich auf mein Bauchgefühl, das wohl noch mehr weiß als mir bewusst ist. Ich entscheide ich mich in dieser Nacht wachen Auges, meine Reise in Spanien und Portugal fortzusetzen und buche einen Flug nach Málaga.


Ich ahnte nicht, dass die großen Tore der Freiheit sich jäh schließen würden wegen eines unausweichlichen Ereignisses.

Corona begegnete mir zunächst zaghaft in Fortaleza, als Desinfektionsmittel in den Pharmazien rar wurden und dann auf dem Flughafen von Málaga in Spanien, als nicht nur asiatische Gesichter in Masken gehüllt waren.


Eine Woche nach meiner Ankunft war ein Aus- und Einreisen nach Südamerika abrupt versperrt und auch in Europa gab es wieder Grenzen. Das Virus ignoriert wohl als einziger die verordnete Unfreiheit des Reisens. Alle Tore, Schranken, Gebäude, Sehenswürdigkeiten ja sogar die Straßen und Luftlinien schließen sich nach und dann auch vor mir. Die Rundreise in Andalusien bleibt unvollendet. Von Lisboa kann ich nur einen kurzen, aber dennoch strahlenden Blick erhaschen.


Nach einigen hartnäckigen Versuchen gelingt es mir, einen der Rückholflieger zu buchen, der einen deutschen Flughafen anfliegt. Es ging zunächst nach Stuttgart. Eine Wahl hatte ich nicht. Ich erreiche also nur auf Umwegen das Ziel Berlin-Tegel.


Auf dem Flughafen von Málaga versuchen "stornierte" Fahrgäste eine Umbuchung für die wenigen Flieger später zu bekommen. Die Stimmung ist gereizt, die gestrandeten Urlauber äußerst genervt und von dem Hin und Her in den letzten Tagen sichtlich erschöpft.


Während wir am Gate beständig zu Abstand ermahnt wurden, spielt das im vollbesetzten Flieger selbst keine Rolle mehr. Natürlich startet der einsame Flieger pünktlich und findet im Kerosin entlasteten Himmel diesmal die direkte Fluglinie.

Als ich in Stuttgart lande, suche ich mit der Handvoll Passagiere in den weiten Geisterhallen des Flughafengebäudes den Anschlussflug. Die penible und langwierige Sicherheitskontrolle wirkt lächerlich und erinnert mich daran, im Kontrollwahn befallenen Deutschland angekommen zu sein. Nach diesen strapaziösen Versuchen des Heimkommens vermisse ich ein empathisches Verständnis meiner Landsleute für die Situation und fühle mich eher wie eine Aussätzige und wenig willkommen. Mir rollen die Tränen. Vor Wut? Ist das das Ende der Freiheit? Schluss mit der Glückseligkeit?


Im Flieger nach Tegel halten wir entspannten Abstand, erreichen in Rekordgeschwindigkeit von 45 Minuten das im Abendlicht leuchtende Berlin und wieder einen Flughafen gähnender Leere . Erschreckend und beunruhigend zugleich. Ein trauriges "Welcome back", das mir (Corona geregelt!) ein vertrautes Gesicht am Ausgang verbietet.


"Social distance", ein Wiedersehen auf Abstand mit der Heimat, mit der Familie, mit Freunden, ein Heimkehren, das mein Herz seltsam verhalten freudig schlagen lässt.

Ich bin einfach nur traurig.

Karin, mein Engel in verzweifelten Augenblicken, erwartet mich in einer geliehenen Wohnung, die sie für mich liebevoll hergerichtet und den leeren Kühlschrank mit lang vermissten Leckereien reichlich gefüllt hat. Es sollte mir in der folgenden Quarantänezeit an wirklich gar nichts fehlen.


Ich bin ihr unendlich dankbar für diesen tröstlichen Empfang, der mir half, meinem traurigen Gesicht ein endlich erleichtertes Lächeln zu entlocken.


So many distance hug for you, Karin!




Schaue ich auf diese Dinge positiv zurück, so war schließlich auch die Rückkehr nach Deutschland ein ziemlich außergewöhnliches Abenteuer, das sich einreiht in die unvergesslichen Erlebnissen dieser Reise, die wohl allesamt einzigartig bleiben.






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