Hallo, Rapa Nui. Diese Insel liegt im Nirgendwo der Welt, fünf Flugstunden oder um die 3800 km von Santiago de Chile entfernt. Sie gehört geographisch zu Polynesien, ist eine der Inseln im Südpazifik, zu denen auch das um die 4200 km weite Tahiti zählt oder das ihr am nahegelegenste Eiland Pitcairn (um die 2000 km).
In meinen Reiseträumen schien mir ein Besuch dieser Insel unerreichbar. Nicht wegen der Entfernung, wohl auch, weil sie nicht ganz günstig ist.
Es sprach vieles dafür, sie an meinem Geburtstag auf dieser großen Reise zu erleben. In meiner Heimat ist dieser Tag ein stets zuverlässig trister Tag kurz vor und auch mal am Totensonntag.
Auf Rapa Nui haben mich zum ersten Mal an meinem Geburtstag alle meine Wohlfühlparameter begleitet: exotische Temperaturen, das tiefblaue Meer mit einer lauen Brise karibischen Wind und eine so traumhaft strahlende Sonne, eine farbenprächtige Hibiscus- und Kakteenblüten und coole Rapamusic... die ganze Palette Glückseligkeit. Das perfekte und schönste Geschenk ever... meine Familie hielt ich fest in meinem Herzen.
Der winzige Flughafen wird von der einzigen Fluglinie LATAM nur von Santiago aus mindestens zweimal pro Tag, am Sonntag auch viermal angeflogen und bringt nicht nur ständig wachsende Touristenströme mit sich, sondern lädt auch einen großen Teil der Versorgungsfracht für die Insel ab.
Auch Tahiti ist per Flug erreichbar.
Gleich bei der Ankunft spüre ich ein
südpazifisches Hula-hula- Ambiente.
Die überaus freundlichen Gastgeber empfangen ihre Gäste höchstpersönlich mit der traditionellen Blumenkette der Südsee.
"Mi casa es tu casa." begrüßt mich Betty, die Hotelbesitzerin dann auch auf dem Flughafen und in ihrem Hostel Pua Vaenga und tatsächlich fühle ich mich in Gegenwart ihrer Familie wie eine Teil von ihr und herzlich aufgenommen.
In der Hauptstadt Hanga Roa leben etwa 7500 Einwohner, die politisch zu Chile gehören, das die Osterinseln, so ihr zweiter Name, 1888 annektiert hat. Der andere Name stammt vom holländischen Seefahrer Jakob Roggeveen, der sie als erster Europäer am Ostersonntag des Jahres 1722 entdeckte. Meiner Meinung passt er gar nicht zu ihrer Geschichte und ihren geheimnisvollen Statuen , den Moai's.
Die Einheimischen nennen sich und auch ihre Sprache Rapa Nui. Es ist ein polynesischer Dialekt und gilt wegen seiner langen isolierten Entwicklung als eigenständige Sprache.
Betty ist hundertprozentig Rapa Nui wie ihre ganze Familie. Mit ihrem "Marido" ist sie seit 23 Jahren verheiratet und hat drei Kinder, zwei Jungs im Alter von 19 und 14 Jahren, und eine Tochter, die 10 Jahre alt ist. Sie sprechen meistens Rapanui miteinander.
Hier das Reisewörterbuch:
Iorana. Hallo.
Iorana koe. Hallo/Tschüss an alle.
Pehe koe. Wie geht's?
Mai ruru. Danke.
Haka rongo koe. Ich verstehe.
Tooku ingoa ko Sylvia. Ich heiße Sylvia.
Ka oho riba riba. Alles Gute. Pass auf dich auf.
Betty begleitet mich als einheimische Guía die nächsten Tage, zeigt mir die schönsten Ecken dieser Insel und erzählt mir spannende Geschichten früherer Zeiten, aber auch aus dem Alltag der Menschen heute. Hier kennt man sich gut und alle fühlen sich zugehörig zu einer großen Rapa Nui - Familie.
Auf dem Weg zur "Pua Vaenga" streift Betty schon mal kurz einige typischen Plätze des Ortes, wie den hübschen und bunten Friedhof, der eher die Fröhlichkeit von Festen als Stille und Frieden ausstrahlt. Er ist für mich der" Leuchtturm" auf dem Weg zu Bettys Heim.
Die Insel birgt immer noch viele Geheimnisse, die die Wissenschaftler und Archäologen nur mühsam entschlüsseln, da keine schriftlichen Aufzeichnungen über die Geschichte existieren. Betty selbst kennt viele Legenden und Mythen, die sich um die Statuen und Orte der Zeremonien und Rituale ranken und die meist mündlich überliefert wurden. Man kann sie heute in der kleinen öffentlichen Bibliothek im Ortskern Hanga Roa nachlesen.
Nachmittags spaziere ich zu den zu Fuß gut erreichbaren Moai's entlang der Südwestküste in einer sattgrünen Graslandschaft.
Moai's nennt man die monumentalen Statuen, die menschliche Figuren mit überdimensionalen Köpfen darstellen. Sie sind auf Plattformen, sogenannten" Ahu" aufgestellt. Es existieren über die Insel verteilt etwa 900 davon, die zwischen dem 13. und 16. Jahrhundert von den Rapa Nui erschaffen wurden. Sie stehen meistens in der Nähe größerer Zeremonieanlagen. Ihre Bedeutung ist umstritten. Man nimmt an, dass sie der privilegierten Kaste, also den Häuptlingen und ihren wichtigen Bindegliedern gewidmet sind oder ihre Grabstätten sein könnten.
Die ersten kolossalen Moai's erblicke ich unweit des Friedhofs, in der Anlage Ahu Tahai im Südwesten. Ihr Anblick versetzt mich in Erstaunen. Sie wirken wie eine gigantische Armee, die die Insel überwachen und ihre Bewohner beschützen wollen.
Etwas abseits erhebt sich der einzelne Tahai-Moai, der einen "Pukao" trägt, eine vermutlich zeremonielle Kopfbedeckung oder vielleicht ein Haarknoten. Er ist wohl einem ganz besonderen Oberhaupt gewidmet, denn im Gegensatz zu den anderen Moai's hat er kunstvoll gefertigte weiße Augen. Nur er allein ist sehend.
Die Anlage befindet sich direkt an der felsigen Steinküste, an deren Ufern sich gewaltige Wellen brechen. Landeinwärts schaue ich auf die bergige Vulkanlandschaft. Auf dem Wanderpfad kreuze ich argwöhnisch frei weidende Pferde, die sich von den Wanderern gar nicht aus der Ruhe bringen lassen und irgendwann abends den Weg zu ihren Besitzern nach Hause finden. Hier ist die Welt einfach noch in Ordnung!
Am nächsten Tag bietet Betty mir eine Rundtour um die Insel in ihrem Pic-up zu den wichtigsten historischen Stätten an, inklusive Geschichten und Legenden aus der einheimischen Hand. Claro que si! Ich bin begeistert!
Wir fahren entlang der Küste in südliche Richtung zum Rano Kau, einem Kratersee der mit Tortora- Schilf bewachsen ist und weiter bis zur zeremoniellen Kultstätte Orongo.
Orongo steht in Verbindung mit dem Vogelmannkult. Der Vogelmann war ein geheiligter Mann des Dorfes. In Orongo sind eine Reihe flacher aus Naturstein bestehenden Häuser erhalten, dessen innerer Raum nur kriechend über einen kleinen Eingang zu betreten war.
Die Vogelmannlegende ist einzigartig und typisch für die Osterinseln. Man vermutet auch einen Zusammenhang zu Fruchtbarkeitsriten. Dem Mythos nach passiert das:
Jedes Jahr, wenn Seeschwalben auf den drei vorgelagerten Inseln, den Motus, zum Brüten kommen, veranstaltet der Häuptling einen Wettbewerb. Wem es gelingt, dem Häuptling das erste gebrütete Ei der Seeschwalben zu bringen, wird sexuelle Freude und Ehre versprochen. Die Männer springen von den Klippen und schwimmen gegen gefährliche Brandungswellen und auftauchenden Haifische auf die Inseln, wo sie mitunter tagelang verweilen. Sie binden sich schließlich das erhaschte Ei auf den Kopf und kehren zurück, um es dem Vogelmann (Tangata Manu) zu übergeben. Danach wird ausgiebig und exzessiv gefeiert.
In Vinapu stehen zwei parallele Ahu, also Steinplatten ohne ihre Moai's . Die eine gilt als Steinmetzkunst, weil die Basaltplatten passgenau gesetzt wurden. Betty erzählt, dass die umgestürzten und erodierten Statuen einst ein Paar mit ihren Kindern darstellten.
Die Küste der Insel entlang zu fahren, ist immer wieder ein beeindruckendes Schauspiel wechselnder Farben des azul schimmerndes Wassers im Sonnenlicht, der in weiß aufschäumenden Wellen und dem tiefschwarzen Vulkangestein. Die Insel Rapa Nui ist der höchste Vulkangipfel einer unterhalb des Meeres liegenden Vulkankette und Berglandschaft und der einzige Gipfel, der aus dem Meer ragt.
Die Anlage Ahu Akivi liegt nicht direkt an der Küste. Es handelt sich um sieben gleich große Moai's, die in Richtung Meer schauen. Sie werden die" sieben Kundschafter der Osterinseln" genannt. Ihnen wird eine astronomische "Aufgabe" in der Geschichte eingeräumt.
Es stellt sich mir beim Anblick dieser gigantischen Statuen immer wieder die Frage, wo diese Arbeiten wohl entstanden, wieviel Zeit ein solches Werk der Steinmetzkunst bis zur Fertigstellung benötigte und vor allem: Wie gelangten sie an diese Orte?
In Rano Raruka sieht man eindrucksvoll die "Moai - Fabrik", ein verloschener Vulkan, aus deren Hänge diese Kolosse gehauen wurden. Auf diesem Areal stehen eine Reihe halb behauener, teils vergrabener Statuen und in dem Gestein des Vulkans selbst liegen unvollendet bearbeitete Moai' s, die aus dem Märchenschlaf, so scheint es, erwacht werden wollen. Diese weitläufige Anlage ist sehr erstaunlich.
Am Fuße des Berges findet man den Verweis auf den Pfad, auf dem die Statuen ihren Transport erfuhren. Aber wie? Die Frage ist bis heute nicht restlos beantwortet. Es hält sich unter anderem auch die These, dass die Insel einmal ein Palmenwald schmückte, der verschwand, als die Stämme geschlagen wurden, um die fertigen Moai's zu ihren Standpunkten zu rollen.
Die Ahu Tangariki ist schließlich die größte Anlage mit 15 Moai's, die in ihrem Rücken die rauschende Brandung hören und die wunderschönen Sonnenaufgänge hinter sich verpassen. Betty fährt mich am folgenden Morgen noch einmal hierher, so dass ich meine eigenen Postkartenbilder auf die Kamera "brenne". Trotz meines vor frischer Morgenkälte klappernden Körpers kann ich lange Zeit meinen Blick von dieser strahlenden Schönheit nicht abwenden. Ein faszinierender, ein vollkommener Sonnenaufgang!
Am Ende der Rundtour lässt mich Betty am weißen Sandstrand in der Bucht von Anakena nördlich der Insel allein, damit ich nachmittags im salzigen Wasser des Meeres baden (oder besser schweben) und ein wenig in der Sonne liegend den Tag Revue passieren lassen kann. Natürlich wachen auch hier über mich gewaltige Moai's, sieben an der Zahl, ein wenig entfernter ein einsamer Moai neben seinen bereits vor einiger Zeit umgestürzten Kumpanen alle umrahmt von Kokospalmen. In Anakena nimmt man die Erstbesiedlung dieser Insel durch den mythischen Gründervater Hotu Matau an.
Einen Tag nutze ich, um im winzigen Stadtkern Hanga Roa zu schlendern, zu schleckern und ein paar Geschenke auszuwählen. Schließlich ist bald Weihnachten.
Am letzten Tag genieße ich in aller Glückseligkeit und mit unendlichen Genuss meinen außergewöhnlichen Geburtstag auf der wunderbaren Rapa Nui.
Comments