Anfang des neuen Jahres 2020 besuche ich gleich zwei Ausnahme-Museen in Brasilien: das Oficina Ceramica des erst im letzten Dezember verstorbenen brasilianischen Künstlers Francisco Brennand und das Instituto Ricardo Brennand, seinem Cousin und einem altbetagten brasilianischen Geschäftsmann und Kunstsammler, den ich persönlich treffen konnte.
Marli drängt darauf sie am gleichen Tag zu besichtigen. Ich ahne nicht, wie mich diese Fülle an Kunstschätzen visuell überfordert und mir kaum Zeit bleibt, diesen Reichtum an Schöngeist und Sinneskraft tausender faszinierender Ausstellungsstücke in mich aufzunehmen. Die immense Anhäufung von Exponaten, ihre einzigartige Schönheit verschlägt mir manchmal den Atem und staunend betrachte ich die in herrschaftlichen Anwesen untergebrachten verschiedenen Ausstellungen. Es ist unmöglich, sie an einem Tag ausreichend zu genießen und zu würdigen.
Nehmt euch Zeit! Es ist ein künstlerischer Hochgenuss, den ich gern mit dir, lieber G., geteilt hätte. Auf diesem Weg, mein treuer Freund, in Erinnerung an unsere vielen schöngeistigen Erlebnisse in Berlin und für deine schnelle Genesung hier ein kleiner virtueller Rundgang erstklassiger brasilianischer Kunst!
Oficína Ceramica Francisco Brennand
Francisco Brennand ist einer der berühmtesten bildenden Künstlers Brasiliens und der ganzen Welt. Als Maler, Keramiker, Bildhauer, Graveur und Illustrator hat er ein umfassendes Werk brasilianischer Kunst erschaffen. Er starb mit 92 Jahren im Dezember 2019 in Recife. Der Bürgermeister der Stadt ordnete eine 3-tägige Staatstrauer an, um diesen Ausnahmekünstler zu würdigen.
Die Vorfahren Francisco Brennand sind aus Irland eingewandert und haben in eine Familie der Zuckerproduktion in Várzea, unweit von Recife eingeheiratet. Sein Vater erweiterte den Familienbetrieb um ein Ziegelwerk. Später schickte er seinen kunsttalentierten Sohn nach Europa, damit er die Techniken der Keramikherstellung vertiefte. Francisco traf dort auf die Keramikkunst von Picasso und Miró und entdeckt sie für sein späteres künstlerisches Schaffen.
In den 60ger und 70ger Jahren des 20. Jahrhunderts richtet er in der alten Ziegelei seines Vaters seine Werkstatt ein und begann ein Projekt von Keramikskulpturen, die sich bis in die Hallen der Fabrik, im Garten und in einer Kapelle auf dem weitläufigen Gelände vermehrten. Heute sind etwa 2000 Arbeiten, Skulpturen und Keramikbilder des Künstlers dort zu besichtigen. In einem Nebengebäude findet man eine Ausstellung seiner Gemälde.
Seine rätselhaften, mythisch anmutenden und fantasievollen Figuren erwecken in mir den Eindruck, monströse Wesen rituellen Ursprungs zu sein oder den Charakter von Totems zu tragen. Viele seiner Motive kreisen um das Ei. Vielleicht ein Symbol aller Urkräfte des Lebens. Einige Skulpturen verkörpern starke sexuelle Elemente, was dem Künstler zum Vorwurf gemacht wurde. Für mich sind sie eher Ausdruck traditioneller Fruchtbarkeitsrituale, die ich in indigenen Kulturen Südamerikas oft gesehen habe. Viele Figuren ähneln deformierten und monströsen Geschöpfen aus der Tierwelt. Alles kreist irgendwie um die Entstehung des Lebens und um die Kraft des Sein, vermischt mit einer verträumten Wahrnehmung und undefinierten Fühlens. So zumindest formt sich mein Eindruck beim Lustwandeln durch den Skulpturenpark in den Hallen. Viele der Figuren sind im Säulengang des Hofes und in den errichteten Brunnen und Fontänen des Gartens majestätisch angeordnet.
Eine seiner Schaffensperiode ist die Herstellung von Keramikfliesen, deren Farben und Formen durch unterschiedliche Brenntemperaturen und - techniken entstehen.
Wie Marli mir erzählt, kann man diese Fliesen auch käuflich erwerben, natürlich zu einem künstlerisch exorbitanten Preis! Meine Internetrecherche führt mich auf diese Seite: https://www.osprecos.com.br
Im Hof des Museums sind die Keramikfliesen, die der Künstler nebenan in seiner Werkstatt gefertigt hat, in überdimensionalen Wandbildern verarbeitet. In der Ausstellungshalle gestaltete er ein farbenfrohes Becken.
Alle Fußböden der Ausstellungsräume sind mit Fliesen verlegt.
Am schönsten sind für mich seine Keramikgemälde. Die Kunst, Keramikfliesen im Relief zu fertigen und zu einem Gesamtwerk zu legen beeindruckt mich zutiefst. Ich bleibe lange vor ihnen stehen, um die Details zu lesen. Gern hätte ich, dass eines dieser Werke die Wände meines Zuhause schmücken würde, genauso wie diese kunstvollen Vasen diese Räume zieren können.
Das Museum zeigt ebenfalls eine beachtliche Galerie seiner Gemälde, die ich leider nicht fotografieren kann. Sie enthält sehr schöne Selbstporträts mit seiner Tochter und viele Gravuren.
Zum Schluss lässt man sich im Museumcafé gern mit einem Kaffee verwöhnen und vielleicht bietet der kleine Laden ja doch die Gelegenheit, eine kunstvolle Erinnerung
mitzunehmen.
Anlässlich seines Todes werden von Zeit zu Zeit Dokumentationen und vergangene Interviews im Fernsehen ausgestrahlt, die auch auf YouTube inzwischen aufrufbar sind. Obwohl ich nicht ausreichend Portugiesisch verstehe, bin ich von den Bildern dieses außergewöhnlichen Museums Oficina Ceramica und des charismatischen Künstlers begeistert.
Hier ein kleiner Eindruck, für die, die noch mehr wissen wollen:
Instituto Ricardo Brennand
Ricardo Brennand ist ein brasilianischer Unternehmer und begeisterter Kunstsammler.
Man erzählt, dass er mit 12 Jahren von seinem Onkel ein wertvolles Messer geschenkt bekam. Seither sammelt er Stichwaffen und Gemälde.
Sein Familienunternehmen stellt Glas, Stahl, Keramik, Zement, Porzellan und Zucker her. 1999 verkauft er die Zementfabriken, um mit diesen finanziellen Mitteln ein Museum für seine inzwischen bedeutsame private Sammlung von Stichwaffen, künstlerischen Objekten vom Mittelalter bis zur Gegenwart und Gemälden des holländischen Malers Frans Post zu errichten. Sein Interesse galt insbesondere der Kolonialzeit und des niederländischen Brasiliens, das er mit seltenen Schriften, Korrespondenzen und Büchern aus dieser Zeit in einer Bibliothek dokumentiert.
Mir wird das Glück zu teil, den betagten Herrn persönlich während meines Museumsbesuch zu treffen. Er spricht in gutem Deutsch über seine Erinnerungen an Deutschland und über seine 8 Kinder und vielen Enkelkindern. Er feiert in diesem Jahr seinen 93. Geburtstag .
Der Anlage des Instituto mit ihren burgähnlichen Gebäuden befindet sich in in einem riesigen Park in der Nähe von Recife und beherbergt ein Waffenmuseum, eine Kunstgalerie, eine Bibliothek und ein Auditorium. Im angrenzenden Garten finden sich eine Reihe großer Statuen von Auguste Rodin, Fernando Botero und anderen Künstlern. Eine dieser Skulpturen erinnert mich an die massigen
Körperskulpturen in der kolumbianischen Stadt Medillín.
Die auf Nahkampfwaffen spezialisierte Waffensammlung enthält etwa 3000 Exemplare aus Europa, der Türkei, Indien und Japan und Rüstungen für Reiter, Pferd und Hund aus dem 14. bis 17. Jahrhunderts. Enorm! Mir war nicht bewusst, was für ein Statussymbol diese Objekte in vergangener Zeit darstellten.
Die Sammlung dekorativer Kunst umfasst alte Uhren, Möbel, Geschirr, Leuchter, Wandteppiche, Musikinstrumente und vieles mehr aus der holländischen Besatzungsepoche, aber auch aus dem reichen royalen Europa, Asien und Afrika des 17. Jahrhunderts. Besonders ein Hingucker: der große antike Weltglobus oder die filigran beschnitten Elfenbeine, die den Türrahmen einst zierten.
Die Gemäldegalerie zeigt die weltweit größte Ausstellung der Malereien des holländischen Künstlers Frans Post. Marli hat das Gemälde vom Strand Gaibu fotografiert, den wir wenige Tage später besuchen.
Die Sammlung ist unermesslich. Wir sahen Vogelkäfige aus Indien, ausgestopfte Wildtiere aus Europa, Truhen, Statuen, Büsten ... und verloren langsam den Blick. Am Ende des Tages sind die Augen müde, die Sinne überwältigt, gesättigt. Um dieses Museum zu erschließen, braucht man wirklich viel Zeit, Stunden, Tage...
Ein Kurlaub der Kunst, der die Sinne berührt und das Künstlerherz beglückt!
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