Mein treuer Zuhörer und Reisegefährte versagt mir die Dienste. Tapfer strotzte er den heißen Sonnenstrahlen, ließ sich kräftig auf all unseren Bus- und Taxifahrten durchrütteln, ertrug die überspannten Stromschläge südamerikanischer Elektroleitungen in sein Inneres und zeigte lange den feuerspeienden Steckdosen die kalte Schulter. Aber nun ist es ihm doch zu viel geworden. Er schließt seine Fenster für immer und selbst ein emsiger und liebevoller Reparaturservice in Fortaleza kann ihn nicht mehr zum Leben erwecken.
So enstehen nun eine Zeit später die letzten Artikel meiner Reise.
In Cumbucu, einem Strand für Kitesurfer etwa 30 km nördlich von Fortaleza, bieten mir Janine und ihr Mann eine Airbnb- Unterkunft mit Hotelklasse-Niveau. Janine hat zweimal auf dem Gebiet der Anthropologie promoviert und an der Universität in Fortaleza unterrichtet. Nun genießt sie in diesem wunderbaren Haus zusammen mit ihrem Mann und der Mutter den wohlverdienten Ruhestand.
Sie servieren mir auf ihrer Terrasse ein immer reichhaltiges Frühstück im stilvollen Ambiente exotischer Blumenpracht und so beschwingter Jazzmusik. Es ist der schönste Moment des Tages. Später treffe ich auch ihre Schwester und unsere Gespräche auf Englisch über das Funktionieren der brasilianischen Gesellschaft geben meinen Eindrücken und Empfindungen zum ersten Mal einen faktischen Hintergrund. Die beiden Frauen sind wirklich sehr klug und gebildet.
Cumbucu ist eine gute Wahl, um die turbulenten und zügellosen Karnevalferien in Brasilien in einigermaßen verhaltener Atmosphäre zu verbringen. Die meiste Zeit gehe ich an den endlosen Stränden spazieren, die immer häufiger auch von den warmen Regenschauern der Jahreszeit begleitet sind. Und obwohl Cumbucus schöne Wildheit mich ein wenig beschwichtigt, sehne ich mich nach einem Ende dieser langen Ausflüge zu den Stränden und auch nach einem Ende der 3-monatigen Reise in Nordbrasilien.
Die Großstadt Fortaleza hat nicht wirklich viel zu bieten, ist für mich dennoch ein Ort, um meine Sachen zu sondieren, zu ordnen und zu minimieren, was notwendig ist für die bevorstehende Rückkehr nach Europa.
Ich hab genug von Brasilien. Fortaleza kann meine mürrische Laune nicht aufbessern. Hinzu kommt, dass eine Larva miligrans, ein "Wurm", der sich im Sand irgendwann beim Spazieren in meinen Fuß gekrallt hat, sich nicht ohne einen Arztbesuch vertreiben lässt. Die Nachrichten des sich verbreitenden Coronavirus erschrecken schon Europa und mich nun auch, während in Fortaleza unbeeindruckt davon die Menschenmengen in den Karnevalsumzügen feiern und einen gewaltigen Müllberg hinterlassen. Die ständig über mir schwebende übelriechende Wolke in dieser Stadt fängt an mich zu nerven, verdirbt mir den Spaziergang durch die Stadt, der ohnehin zum Fürchten ist.
In den nächsten Tagen leiste ich mir eine Menge Fahrten mit dem Uber-Taxi für ein bisschen Sightseeing: ein trostloses Kulturzentrum geschlossen wegen der Feiertage, ein paar zerfallene Häuser aus kolonialer Zeit und in kleinen Gassen, die ich auf Irrwegen entdeckte, diese kunstvoll bemalten bunten Häuser.
Gegenüber der Skyline eintöniger Wolkenkratzer vertreibe ich mir die Zeit am langen Stadtstrand nicht ohne einen bedauernden Blick auf das vermüllte grünlich schimmernde Meerwasser.
In den pompösen Shoppingmalls made in USA finde ich zumindest einen neuen Reisekoffer, der meinen verschlissenen Rucksack ersetzt, den ich später einen der vielen Obdachlosen in Fortaleza überlasse. Auf dem kleinen Mercadinho municipal bestaune ich zum letzten Mal das Kunsthandwerk Brasiliens, kaufe eine gehörigen Vorrat an Cashewkernen und den "bolo do rolo" in Snackgröße für die Reise.
Am 1. März verlasse ich Brasilien und endgültig auch Südamerika in Richtung Spanien. Zwei Wochen später wird die Einreise in viele südamerikanische Länder wegen der sich ausweitenden Covid19-Pandemie nicht mehr gestattet. Flüge nach Europa werden eingestellt. Ich hatte wieder eine gute Intuition und ein treffsicheres Timing.
Über Brasilien schwirren wild und ungeordnet viele Gedanken und Eindrücke in meinem Kopf, die ich erst irgendwann in nächster Zeit einfangen und in klare Worte fassen kann. Ich bin mir nicht schlüssig, ob ich mit den Klischees des paradiesischen Brasiliens knallhart aufräumen oder Milde walten lassen möchte. Lasst mir ein wenig Zeit zum Verdauen und Nachdenken...
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