"Wo du weg willst, wenn du älter wirst und zurück willst, wenn du alt bist, das ist Heimat. " - Sprichwort -
Schwerin ist die zweitgrößte Stadt und Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern. Sie bleibt die Heimat meiner Kindheit und Schulzeit. Hier verbrachte ich lange Jahre bis ich mit 18 Jahren studieren ging und dann noch einmal für gut zwei Jahre an einem altsprachlichem Gymnasium arbeitete. Meine ganze Familie lebt hier oder in der Nähe und ich fahre gern und doch immer nur auf einen Sprung hierher.
Ich betrachte durchaus liebevoll die Provinzatmosphäre und finde sie für genau drei Tage ganz reizvoll: Die Uhren laufen langsamer als in Berlin. Ich stehe zappelnd vor roten Ampeln und doch leeren Straßen, im Auto sitze ich geduldig ein Minütchen länger bei Grün, bevor das erste SN-Bolide im sicheren Abstand zur Haltelinie sich endlich doch vorwärts bewegt und fahre dann gern gemütlichen Tempos durch unbewohnte, aber blitzergepflasterte Naturlandschaften den HRO-, LWL-, NVP- und NWM- Autokennzeichen hinterher und bremse unermüdlich für Wildtiere.
LWL = Leberwurstland NWM = Niemand will mich
NVP = Noch vor Polen HRO = Hier rasen Ossis ... ;)
Ich sehe viele Senioren und Touristen im traditionsreichen Café Rothe, im Eiscafé Valentino, bei Schwerins Fleischerei Lange & Co genüsslich dauerschlecken und da und dort stoße ich auf Ostalgie. Das Jungvolk sitzt beim Cocktail im "Bolero", weil es mal nicht ganz so früh schließt oder tanzt auf dem Weinfest Ende August.
Manche erinnerungsträchtige Orte streife ich mehrmals bei meinen Besuchen: den nun im Schlaf versunkenden Lankower See, den Pfaffenteich, das gefühlt immer im Baugerüst stehende, aber dennoch sagenhafte Märchenschloss, den Marktplatz mit dem faszinierenden historischen Rundum-Stadtblick, darunter auf den Dom, die schmalen Gassen in der Altstadt. Alles sehr sehenswert.
"Die Heimat bedeutet: von Zeit zu Zeit eine Rührung, aber nicht dauernd."
- Jules Renard -
Nachdem alles in der Familie beim Rechten zu sein scheint, bin ich dann froh, wieder nach Hause zu fahren und die gemächliche Lebensart, die mich ein Weilchen wohltuend ausgebremst hat, spüre ich im Wirbeltanz des alltäglichen Lebens von Berlin, meiner Wahlheimat zum Glück nicht lange nach.
Mein Sabbatical, so stand für mich fest, beginnt in Schwerin und seiner Umgebung, zusammen mit viel Zeit für die Familie.
Schließlich gibt es dafür unschlagbare Gründe: einige meiner Sachen aus meiner vermieteten Berliner Wohnung lagern hier in den Kellergemachen unter wachsamen Auge der Familie. Der hektischen Ferienreisezeit entgehe ich in einem entspannten Heimaturlaub. Für "Damals"-Touren zu Orten bester Kindheit- und Jugenderinnerungen und für so oft liebe Einladungen von Freunden aus der Schulzeit finde ich endlich mal Zeit ... und wer weiß, vielleicht finden sich auch neue Freunde, Träume und spannende Projekte für die Zeit nach der Reise.
Back to the roots
Part 1: Beste Kindheitserinnerungen
In der Nähe von Wismar, auf dem Weg zur Insel Poel befindet sich das Gutsanwesen meines Großvaters, wo ich oft die Wochenenden meiner Kindheit verbrachte. Mein (Ex-)Kater aus Kladower Zeiten fand nach meinen Umzug in die Stadt hier nach Hause zurück und lebt wohlbehütet und umsorgt von meiner lieben Tante seine alten Tage in freier Natur. Wir erkennen und lieben uns immer noch.
Mein Großvater übernahm die Bewirtschaftung des Guts seiner Schwiegereltern nach dem Krieg, wohin er mit seiner damals jungen Familie zog. In den Tagen meiner Kindheit verbrachte ich fast jedes Wochenende mit meinen Schwestern hier auf dem Land und hatte alles, was das Kinderherz stark werden und aufgeregt schlagen ließ: glückliche Tiere zum Spielen, einen Hund, der immer Fiffi hieß, Katzen zum Kuscheln, Enten und Gänse zum Jagen, Pferde und ihren gütigen Pfleger Opa Krüger, der uns manchmal in der Kutsche durch die Gegend fuhr. Wir naschten gesunde Biokost im und aus dem Garten, aßen Eier von glücklichen Hühnern und den Sonntagsbraten frisch aus einem der Ställe. Wir hatten unendlich viel Bäume zum Klettern, Hecken zum Verstecken, Wiesen zum Ausstrecken, Kachelöfen zum Aufwärmen und dicke Daunenbetten an kalten Wintertagen und einfach ganz liebevolle und großzügige Großeltern, die uns diese unbeschwerten Tage erst ermöglichten. Es ist bis heute ein Ort, an dem ich sehr gern bin und von dem ich mir wünsche, dass er immer da sein möge.
Unweit dieses Dorfes liegt ein kleines Nordlicht, die Hansestadt Wismar. Wie viele Städte im Osten hat auch die historische Altstadt eine architektonische Wiedergeburt erfahren und ist unbedingt ein Besuch wert.
Und weiter Richtung Norden erreicht der Besucher die kleine reizvolle Insel Poel und schnuppert eine Brise Ostseewind. Die Gemeinden legen Wert auf einen schmalen Tourismus, der die ursprüngliche Naturlandschaft bestehen lässt, auf ufernahe Hotelgiganten verzichtet und sich eher auf viele Campingurlauber einrichtet. Ein echter Geheimtipp auch für Liebhaber von Radtouren und Segeltörns. Unbedingt den frisch gefangenen und lecker zubereiteten Fisch genießen!
Das Passwort für Entspannung heißt: #Ostsee#Strand#Ostwind
...in Zierow und am Timmendorfer Strand.
... und noch mehr Ostsee.
Während all meiner Abstecher an verschiedenste Ortean der weitläufigen øostlichen Ostsee: Zierow, Timmendorf auf Poel, Graal-Müritz und zuletzt Heiligendamm zeigte sich das Meer immer von seiner sonnigsten Seite. Alle Ferienorte freuten sich über gut ausgebuchte Zimmer und reichlich Tagestouristen, die seit kurzem für volle Kommunalkassen mit Einnahmen aus den Kurtaxen sorgen. Wir sind endlich beim westlichen Standard angekommen!
Part 2: Studienzeit an der Universität Greifswald
"Sieh im Studium nie eine Pflicht, sondern die beneidenswerte Gelegenheit, die befreiende Schönheit auf dem Gebiet des Geistes kennen zu lernen." - Albert Einstein -
Mit meiner ältesten Schwester Katrin schwelge ich einen Tag lang in Erinnerungen an gemeinsame Studienzeiten am Institut für Romanistik und Slawistik der Universität Greifswald in den achtziger Jahren.
Als ich 1984 zum Studium in die Hansestadt Greifswald kam, genoss ich meine jugendlichen Freiheiten in vollen und ausschweifenden Zügen.
Die Stadt erschien mir wohl deshalb damals viel offener und weltlicher als Schwerin, obwohl ihre baufälligen Ecken die Glanzzeiten dieser heute fünftgrößten Stadt Mecklenburg- Vorpommerns schwer erkennen ließen. Aber irgendwie passte das zu einem sporadischen Studentendasein. Erstaunlicherweise zählt die Stadt sehr viele junge Haushalte unter 30 Jahren und wirkt tatsächlich bei unserem Spaziergang durch die historische Altstadt sehr erfrischend.
Die Stadt liegt an dem in die Ostsee mündenden Fluss Ryck am Greifswalder Bodden.
Die 1456 gegründete Universität Greifswald mit rund 10 000 Studenten und 6 000 Beschäftigten ist die zweitälteste im Ostseeraum.
Es ist eine beeindruckende Zeitreise zurück in die Studienzeit. Viele Gebäude der altehrwürdigen Universität sind kunstvoll restauriert und mit modernen Bauten geschmackvoll ergänzt. Hier Student zu sein, hat nichts von der damaligen Beschaulichkeit eingebüßt. Das studentische Bild dieser Stadt vermittelt mir immer noch das historisch verwurzelte Gefühl eines opportunen intellektuellen Geistes, der auch den Wirren der DDR- und Wendezeit standhielt.
Alte und neue Mensa:
Rückblickend schaue ich dankerfüllt auf eine höchst anspruchsvolle Lehre am Institut für Romanistik zurück, das hier in der Bahnhofstraße und überhaupt in dieser Stadt leider so nicht mehr existiert und nun der Universität Rostock angegliedert ist.
Das erste Mal sah ich Greifswald nach 25 Jahren, also 2004 bei einem Treffen mit Studienfreundinnen und alten "Lehrmeistern" wieder. Hin und wieder einen Blick in die vergangenen Zeiten zu werfen, erklärt uns oft auch, warum wir so sind, wie wir sind und verdirbt uns stetes Bedauern über das, was nicht mehr ist oder kommen mag. Alles lag in einer guten Zeit genau richtig.
Wieder- und neu entdeckt bei dem Rundgang:
Der Weg führt uns natürlich zum Auditorium Maximum. Die Hörsäle stehen uns offen für eine kleine erinnerungsträchtige Schwärmereien.
Mit lieben Erinnerungen an alle meine Studienfreundinnen ( und Strickliesels!):
Gegenüber der Aula, heute auch Sitz des Rektorats der Universität steht das Rubenow–Denkmal, vor dem zumindest damals wir Studenten ein denkwürdiges Foto mit den Diplomzeugnissen in der Hand schossen. Wer hat es noch?
"Manche haben studiert und sind Lehrer geworden; manche haben studiert und sind leerer geworden."
- unbekannt -
Das frühere Institut für Marxismus-Leninismus heißt heute etwas allumfassender Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät. Vier Stunden pro Woche M/L ...puuh, nach einer Nacht in Club 9 war endlich Zeit zum Schlafen!
"Studieren oder Amüsieren?
Eins im anderen."
- Paul Mommertz -
Die Räume der Slawistik sind bei unserem Besuch leer, aber frisch renoviert mit dem alten rotbraunem Linoleum mit Wiederkennungswert!
Vor dem Institut der Slawistik saßen frisch geprüfte Studenten von heute, mit denen wir eine Weile plauderten. Eines schien sich nicht geändert zu haben: sie liebten ihre Universitätsstadt genauso wie wir es damals taten.
Ich danke meiner lieben Schwester für die Idee, gemeinsam diese Zeit nachzuspüren!
"Je schöner und voller die Erinnerung, desto schwerer ist die Trennung. Aber die Dankbarkeit verwandelt die Erinnerung in eine stille Freude. - Dietrich Bonhoeffer -
Part 3: Schwerin - gestern und heute
... oder: was ich schon lange mal wieder machen wollte!
Eine Dampferfahrt auf dem Schweriner See:
Der drittgrößte Binnensee Deutschlands bietet einiges an Wasserattraktionen: Hausboot und Motorboot fahren, Segeltörns, Inseln entdecken, Orchideenparadise etwas versteckt auf einer Landzunge zwischen Zippendorf und Ruppiner Burg.
Mit der Straßenbahn fahren...
Man kann sagen, dass die Schweriner Straßenbahn uns Tag und sogar bei Nacht immer begleitet hat. Die Modelle aus den siebziger und achtziger Jahren zogen ihre geräuschvollen Bahnen direkt vor unseren Kinderzimmern der Lankower Wohnung vorbei. Alle in meiner Familie behaupten noch heute, es sei eine Frage der Gewöhnung gewesen, sie schließlich gar nicht mehr wahrgenommen zu haben. Ach ja?
In der Beethovenstraße spazieren zu gehen...
... um das Haus wiederzufinden, in das meine Eltern mit ihren vier kleinen Töchtern Ende der sechziger Jahre in ihre erste Wohnung einzogen: zwei große Räume, Küche über dem Flur, Toilette eine Etage tiefer, aber dennoch glücklich, in schwierigen Zeiten einen Platz für die junge Familie gefunden zu haben. Schnieke alles heute!
Meinem ersten und besten Arbeitsplatz gedenken...
... dem Fridericianum.
Im Jahre 1991 nahm ich ein Stellenangebot des altsprachlichen Gymnasiums Fridericianum in Schwerin an. Ich richtete als zunächst einzige Französischlehrkraft an dieser Schule den Fachbereich komplett neu und nach meinen Vorstellungen ein, arbeitete am LISUM in der Fort- und Weiterbildungen Lehrer und empfinde rückblickend meine Lehrtätigkeit an dieser Schule als die produktivste und am meisten wertgeschätzte Zeit meiner beruflichen Karriere. Kurz vor der Geburt meines Sohnes verließ ich Schwerin und gab diese Stelle für eine Versetzung nach Berlin auf.
Heute ist dieses wunderschöne sanierte Gebäude am Pfaffenteich gelegen eine private Fachhochschule des Mittelstands und, ganz in meinem weltoffenen Sinne, Sitz des Deutsch-Asiatischen Mittelstands-Instituts.
Noch mehr Nordlichter ...
Schlossstadt Klütz
Schloss und Park Bothmer
Wenige Kilometer von der Ostsee entfernt lädt das barocke Backsteinschloss Bothmer inmitten einer idyllischen Parkanlage zum Verweilen ein.
Erzählt wird hier die Geschichte vom märchenhaften Erfolg des Diplomaten am damaligen englischen Hof Graf Hans Casper von Bothmer und seinem Schlossbau zu Beginn des 18. Jahrhunderts.
Seit vielen Sommern nun schon kann man in der Schlossanlage Konzerten lauschen oder im Schlosscafé bei herrlicher Kulisse Kulinarisches genießen.
Schloss Bothmer wurde in nur sieben Jahren im Auftrag der Stiftung Staatliche Schlösser, Gärten und Kunstsammlungen Mecklenburg-Vorpommern aufwendig saniert
und ist ein reizvolles Juwel barocker Architektur vergangener Zeiten.
"I'm done."
Meinen Abschied lege ich ein paar Tage früher vor. Er fällt weniger schwermütig aus als ich es mir vorgestellt habe.
Mit meiner Familie hatte ich eine gute und so gut es ging auch gemeinsame Zeit. Nun, jeder von ihnen hat sich in dieser Stadt oder in ihrer näheren Umgebung ein glückliches Leben eingerichtet, an dem sie michalle gern teilhaben ließen. Ich schaue mit einigem Stolz und viel Bewunderung auf das, was sie sich geschaffen haben. Mögen sie gesund und wohl behütet bleiben!
Obwohl ich hier aufgewachsen bin, sehe ich nach nun fast 30 Jahren viele Dinge eben doch mit den Augen einer Fremden. Aus der Nähe betrachtet kommen eine Menge angenehmer Erinnerungen wieder, aber auch die Träume, die danach drängten, zu neuen Ufern aufzubrechen. Sie fangen mich wieder ein.
Die frühe Heimat zu verlassen war wichtig, um zunächst ein paar Horizonte zu öffnen. Die quirlige Stadt Berlin bot diesen kosmopolitischen Flair, um das unentdeckte und grenzenlose Weite zu spüren und selbst das genügt nach 30 Jahren immer weniger. Die Farben und Formen der Welt zu entdecken, so sinniere ich vor diesen prächtigen Kulissen der Stadt Schwerin, scheint unerschöpflich und lässt mir keine Ruhe mehr. Ich kann es kaum erwarten, endlich aufbrechen zu können.
Ein letzter Blick auf die Stadt Schwerin ... auf ein nächstes Wiedersehen!
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