Die Reise nach Jericoacoara ist schon abenteuerlich. In Fortaleza finde ich das Busunternehmen Fretcar, das eine direkte Verbindung nach Jeri, wie der Ort auf der Landzunge im Norden Brasiliens genannt wird, anbietet.
Nach etwa fünf Stunden Busfahrt steigen die meist fremden Besucher in Jijoca, dem letzten Ort vor dem 20 km ins Landesinnere ragende Sanddünen- Nationalpark in ein luftiges Picup um. Zuvor zahle ich im Büro der Nationalparkbehörde vorort artig die Touristengebühr von umgerechnet etwa einem Euro (nur in bar zahlbar!). Das erscheint mir zunächst erstmal ein einsichtiger Beitrag für die Erhaltung des Naturschutzgebietes zu sein. Dann geht es in holpriger einstündiger Nachtfahrt durch die Dünen weiter nach Jericoacoara. Im Dunkeln erkenne ich vage die Silhouetten der gigantischen Sandberge. Wer will, wird bis vor die Tür seiner Unterkunft gefahren. Ich steige am winzigen Rodoviaría aus und warte auf meinen Airbnb-Gastgeber Daute.
Vielleicht liegt es an meinem kräftigen Brummschädel am nächsten Morgen, aber die volle Wucht des lärmenden Touri-Rummels mit den tausend kleinen Läden, des geschäftigen Gastronomie-Zirkus im Vila Jeri und vor allem der hochgetunte knatternde Buggy-, Quad-, Jeep- und Motorradverkehr wider aller Regeln in den engen Sandstraßen frustriert mich und verdirbt mir gehörig den Blick auf den idyllisch gelegenen Ort im lobgepriesenen Naturparadies.
Ich sehe nichts paradiesisch Gleiches, ich empfinde wohl eher das Paradies in Gefahr! Und leider auch in den nächsten Tagen, gärt verhalten die Wut in mir, lässt mich oft den Kopf schütteln, treibt mich schon ein wenig Sorge um. Sanfter Tourismus in sensiblen Ökosystemen wäre mir lieber. Beachtliche 70% der Fläche Brasiliens haben eine fragile Ökostruktur... das verträgt sich sogar nicht mit dem ausgelassenen, partyfröhlichen Lebensgefühl à la brasiliera. Das geht für die Brasileiros dann schon mal vor.
Dennoch scheint es nach meinen Recherchen im Internet Bemühungen zu geben, der ausufernden Bauwut gesetzlich Einhalt zu gebieten. Gefühlt sehe ich davon nichts.
Und wofür war noch gleich die Touristengebühr?
Der Strand, ja auch die Dünen, die Ufer der Lagunen sind Rennpisten (Tempolimit - Fehlanzeige!) zu touristischen Ausflugszielen, wo Touristen für Fotos Schlange stehen und ihnen aus Styropor-Kühltaschen Getränke serviert werden.
Direkt am Ufer des Meeres türmt sich die Duna do por do Sol auf, die Düne zur untergehenden Sonne. Jeden Abend wird sie, wie ein Ameisenhaufen gleich, von Touristen überrannt, die den Sonnenuntergang, auch wenn Wolken ihn oft verhängen, bejubeln, beklatschen und feiern. Das es ihn überhaupt hier im Norden gibt, verdankt der Ort seiner Lage auf einer Landzunge, die so ins Meer ragt, dass man halt die Sonne östlich untergehen sieht. Sehr bizarr.
...morgens.... ... und abends an der Duna do por do Sol...
Auch wenn der Strohhalm vernünftigerweise am Strand inzwischen verboten ist (Alternativen - Fehlanzeige!), sorgen die Plastikbecher der mobilen Cachaça-Bars für immer noch reichlich Müll, der abends zu Hauf herumliegt und Gefahr läuft eher von der kommenden Flut und nicht von einem Besenkommando weggeräumt zu werden.
Das Paradies Jeri hat ein noch immer beständiges Müllproblem.
Vor 20 Jahren, so erzählen mir die "Nativos" später, gab es hier noch nichts. Heute reihen sich vier sandige Hauptstraßen mit Unterkünften, unzähligen Restaurants und typisch touristischen Souvenirs- und Kunsthandwerksläden nebeneinander.
Erst in den nächsten Wochen entdecke ich dieses vollkommene Paradies, das der Zauberstab der Natur in wohl selten schwungvoller Laune, mit so liebevoller Hingabe und sinnenhafter Schönheit auf diesem Fleckchen unserer Mutter Erde erschaffen hat.
Es nimmt mich bei meinen langem Jogginglauf am Morgen immer mehr in seinen Bann.
Die Natur scheint den Launen des Windes, des Regens und der Sonne wohlgesonnen und dirigiert sie "con alegria" jeden Tag, um sie zu einer neuen Landschaftsmelodie zusammenzufügen: die Formen ihrer Sanddünen, deren Ränder sie gern wieder ins Meer spült oder die Sandgipfel, die vom Wind neu verwehen, den Strand, den die Gezeiten einmal mehr anders gestalten, die süßwasserhaltigen Lagunen, die der Regen beliebig füllt und über deren Ufern sich Pflanzen schlängeln oder wo ab und zu Palmen und beerentragende Büsche Schatten spenden.
Reiten in den Dünen des Nationalparks
Auf einem Ausritt zu Pferd, den mir Chicoberto, ein Pferdehalter und mein Nachbar anbot, geht es leisen Trabens und bei ungezwungenen Plaudern durch die Lagunen- und Dünenlandschaft am Westende des Nationalparks. Der Brasilianer scheint sich über meine unbeholfene Haltung auf dem völlig unbeeindruckten Pferd namens Blacky zu amüsieren und ist unterwegs fleißig dabei, mich zu fotografieren oder zu filmen. Mir ist es manchmal "too much", aber so ist es halt in Brasilien. Man verewigt sich gern mit vielerlei Dramatik auf unendlichen Bildern.... die Welt ist schön mit mir und dem dahinter!
Wir reiten abwechselnd die Dünen hinauf wegen der weiten Aussichten in den Nationalpark...
... und waten durch das Wasser der mit Süßwasser gefüllten Lagunen und Lagos...
... und weiter zu den kleinen Palmenoasen...
... um schließlich am Strand entlang zurückzukehren.
Während des zweistündigen Ausritts hat der gute Chicoberto mir allerhand aus seinem ach so unglücklichen Liebesleben erzählt, über die brasilianischen Frauen geklagt, die aus seiner Sicht nicht gern arbeiten und davon geträumt, mit mir sein Reitunternehmen zu führen und abends in der Bar Caipirinhas zu genießen.
Meine Augen blicken staunend auf diese fantastischen Sanddünenlandschaften, meine Lippen ziehen sich zu einem Lächeln breit, nicht weil ich halb amüsiert diesen Schwärmereien lausche, sondern viel mehr noch, weil ich mich einfach freue und glücklich bin, diesen Ort so (fast) noch unberührt zu erleben .
Na Pedra Furada
In östlicher Richtung wandere ich einen Tag zum Praia de Malhada, einem Strand für Surfer. Es wird steiniger und eine Sanddüne führt weiter hinauf zu den Felsenklippen.
Oberhalb schlängelt sich ein Pfad durch eine Kakteenlandschaft und weiter durch Sandwege hinunter zum Strand, wo sich die Wellen an den Felsbrocken im Wasser brechen.
Die Wucht der Wellen und die erodierenden Kräfte des windigen Wetters haben einige Steine porös gerieben und den Hang hinunter rollen lassen oder sie scheinen das in Kürze vorzuhaben. Also schnell vorbei!
Nach ordentlichen zwei Kilometern erreiche ich den Pedra furada, den durchlöcherten Felsen, an dem die touristischen Ausflügler, ob per Boot, Buggy oder wie ich gewandert, Schlange stehen, um ein denkwürdiges Foto zu schießen. Naja.
Alles in allem ein lohnenswertes Ausflugsziel.
Entschließt man sich zu wandern, ist es zwar durchaus eine sportliche Challenge bei garantiert heißen Temperaturen. Es ist dennoch um einige Naturbilder eindrucksvoller.
Es werden an jeder Straßenecke hier in Jeri Jeep- und Buggy-Touren zu Lagunen und Lagoas angeboten, wo Hängematten im Wasser, sicherlich Styropor gekühlte Getränke und jede Menge fotoposierende Touristen warten. Ich verspüre nicht die geringste Lust auf solche Art von Naturerlebnis. Wenn es auch an vielen Stränden in Brasilien ähnlich zugeht, empfinde ich es hier in Jeri noch unangemessener. Wer es mag...
Naturliebhaber die Ruhe und Einsamkeit suchen, tun gut daran, sich selbst auf den Weg zu machen. Wenn sie zu Fuß oder zu Pferd die Sanddünen erklimmen, an den den Felsenklippen entlang wandern und an den langen Sanddstränden spazieren, entdecken sie viel mehr ihre eigenen Traumbilder und einwenig auch sich selbst:
Es sind meine Bilder, die die Natur für mich ganz persönlich malt, Ausblicke, die in meinen Augen manchmal weitaus spektakulärer wirken und mein Ruhepol, in dem ich verweilen und träumen kann, so lange ich möchte.
Jeri und ich ... das passt nicht.
Nach einer Woche wechsle ich das Quartier und ziehe näher ans Meer... rein nach "Gringotown", also dem "Touri- Spotlight". Obwohl sich nun morgens mein Weg zum Strand angenehmer läuft, ich öfter über den Tag durch die kleinen Passagen und die sandigen Hauptstraßen bummele, näher mitten im Nachtleben der Bars bin und der Musik der Cantores lausche, die lauen Abende am Meer mit einem kühlem Bier oder leckeren Caipifruta sitze, behagt mir ein längerer Aufenthalt in Jeri nicht. Es regnet nun öfter und die Sandstraßen werden zu reißenden Strömen in Richtung Meer.
Es macht wohl einen Unterschied, ob man Jericoacoara für einen Kurzurlaub erlebt oder wie ich sich für einen längeren Aufenthalt einzurichten und zu erwarten, dass ich mich ein wenig zuhause fühle..."Mi casa é tu casa."
Wie in Canoe Quebrada! Ich vermisse meine Mädels, die brummigen Fischer, meine winkenden Freunde, die lächelnden Gesichter ... Behaglichkeit, das zufriedene Rauschen des Meeres dort, nicht das unruhige hier, das Wenige von Vila Estevão was hier zu viel ist in Vila Jeri... Fremde.
Ich beschließe früher als geplant weiterzuziehen... nach Cumbuco.
Comentários