Das freundliche Städtchen Otavalo ist umgeben von den Vulkanhängen des Cotacachi und des Imbabura und ist unbedingt einen Stopp wert.
Um den ungemütlichen Quito zu entfliehen, bleibe ich eine ganze Woche hier. Ich kämpfe immer noch mit den Nachwehen des langen Fluges und auch die Höhenlagen bringen mein Herz noch mächtig zum Rasen. Also ¡Cuidado! und Grund genug, um in Otavalo Ruhe, aber auch gleichzeitig Abwechslung zu finden.
Die Otavaleños l(i)eben ihre Traditionen.
Die Männer tragen lange, schwarze Zöpfe, helle Wadenhosen, blaue, manchmal auch graue Ponchos und Filzhüte, dazu Schnürsandalen. Die Frauen beeindrucken mit kunstvoll bestickten Blusen, langen schwarzen Röcken, bunten Schultertüchern und manchmal raffiniert gefalteten Tüchern, die sie auf dem Kopf tragen.
Markttag in Otavalo
Auf dem Plaza de Ponchos gibt es schon seit Präinkazeiten den mittlerweile größten Kunsthandwerkmarkt der indigenen Kultur dieser Region und sogar in ganz Südamerika. Samstags kommen die Einheimischen aus allen Dörfern und der Markt erweitert sich bis in alle Straßen rundherum und bedient die Horden von Touristen, die, von Reiseführern beschworen, herbeiströmen.
Ganz unter uns: Der Kunsthandwerkmarkt findet eigentlich jeden Tag statt. Ihn unter der Woche zu besuchen ist viel entspannter und die Preise fallen wieder auf gewohntes Niveau.
Es ist ein faszinierender Anblick und selbst ich bin von so viel Schönheit indigener Kunst und so vollendeten Handarbeiten einfach überwältigt. Hier wird eine unüberschaubare Anzahl von Wandteppichen, Ponchos, Decken, bestickte traditionelle Kleidung, Lederwaren, Hängematten, ja selbst Kunstgemälde und vieles mehr angeboten. Mir kommt der Gedanke, dass ich vielleicht die Reiserichtung anders gewählt hätte, um von dieser Pracht mehr nach Hause holen zu können. Doch meist ist es so, dass dieser Glanz in der westlichen Kultur verlischt oder schlichtweg unwirklich erscheint.
Wo traditionelle Musikinstrumente feilgeboten werden, treffen sich meistens auch Gleichgesinnte aus allen Ecken der Welt, die mit den einheimischen Händlern Klänge ausprobieren und sogar gemeinsam musizieren. Hört man den Melodien der Panflöten und Ukulelen zu, träumt man schnell von Andenlandschaften über denen der Condor schwingt und auf denen Alpakas weiden. An diesen Ständen halt ich gerne mal inne und lausche andächtig. Es ist auch immer ganz unterhaltsam mit den Händlern zu plaudern.
Und dann erlebe ich sogar das ganze Konzert ...
Wer noch nicht genug hat, es geht noch besser! Der riesige Lebensmittelmarkt am Modesto Jaramillo, einer überdachten Halle unweit der Brücken bietet noch einmal etwas für das ungläubig schauende Auge eines Europäers. Ich kann mich gar nicht satt sehen an den farbenprächtigen Obst- und Gemüseständen, an den ja bekanntlich tausenden von Kartoffelsorten und Hülsenfrüchten Südamerikas, an Blumenbouquets und Rosenblüten, fertig zerpflückt zum Bestreuen des Glücksweges. Bei den Fleischangeboten kratze ich die Kurve wegen des äußerst bizarren Geruchs und meiner fast vegetarischen Gesinnung (davon also kein Foto!).
Begleitet ist der Superbiofoodmarkt von einer weitläufigen Streetfood-Gastronomie, wo man live die Zubereitung hausgemachter "almuerzos", also Mittagessen, erlebt und, (wer einen hart gesottenen Magen zu haben glaubt) einen prall gefüllten Teller für etwa zwei Doller verspeist.
¡Buen aproveche!
Parque Cóndor
Heute hatte ich ein Humboldt-Feeling!
Wer sich für Greifvögel verschiedenster Couleur interessiert, der mag diesen kleinen Park gern besuchen (5$). Er hält weniger, als sein Name oder der Reiseführer verspricht. Ich sah in großen Vogelkäfigen ganz putzige Geschöpfe von Uhus, Eulen, Adlern und Geiern, aber eben keinen Condor. Der Park gehört zu einer holländischen Stiftung, die diese Tiere pflegt. Sie hat sich zur Aufgabe gemacht, den Condor zu retten.
Eine Wanderung zu diesem Ort etwa 4 km von Otavalo entfernt eine Hügel hinauf auf 2800 m lohnt sich allein wegen der malerischen Aussichten.
Nachdem sich meine Höhen- und Jetlag- Wehwehchen deutlich verzogen, wage ich heute also ein erstes Geocatching allein. Die Pfade dorthin sind staubig-grau und von hartem Lavagestein, die Landstriche sind von der langanhaltenden Trockenheit verdörrt, eingeschlossen der kargen Maisfelder. Meine frischen Schuhe sind dahingegraut!
Mir scheint der Gedanke nun real, dass Schlammlawinen nach Starkregen in diesen Gegenden tatsächlich katastrophal von den Bewohnern erlebt werden.
Rundherum erstreckt sich die Vulkankette der Anden und der Anblick bei strahlenden Sonnenschein ist spektakulär. Ecuador hat mich schlussendlich in seinen Bann gezogen.
Ich erblicke den schneebedeckten Cotacachi (4937 m), der seinen Gipfel den ganzen Tag hartnäckig in einer Wolke versteckt, den Imbabura (4630 m), der mich aus der Nähe begleiten wird und der "kleinere" Fuya-Fuya (4263 m) in der Ferne.
Die Namen der Vulkane kommen von Wörtern aus dem Kichwa ortovaleño. Cotacachi (Mama) und Imbabura (tayta- Tante) flankieren die Stadt Otavalo von beiden Seiten.
Fuya-Fuya (nubes-nubes = Wolken-Wolken) ist ein Vulkan der wie eine Gardine die Wolken in nur zwei Minuten über sich auf und dann wieder zu zieht. Nette Geschichte!
Cotacachi Imbabura Fuya-Fuya
Auf einer langen Weggraden wandere ich geradezu auf den Imbabura. Erhaben erhebt er sich vor mir, umgeben von einem magischen Licht und einem zauberhaften Charme.
Vor dieser vollkommenen Silhouette eines so all überragenden Naturgesteins stehe ich vor all dem tief überwältigt, den Tränen vor Glück nah. Ich verneige mich und bin innerlich dankbar, an dieser Schönheit teilhaben und mit ihr für ein paar Augenblicke verbunden sein zu dürfen.
Zu seinen Füßen liegt rechts die Lagune San Pablo und sein Schatten behütet den Arból Milenario "El Lechero". Er ist Symbol des Friedhof der verfluchten Kinder, "Los Niños Limbos", Kinder die ohne Namen oder Weihung im Mittelalter starben und hier in Ewigkeit bedacht werden.
In meinen Gedanken ist die Zeit ein bisschen rückwärts gereist. Humboldt begann hier in der Nähe, von der Stadt Ibarra aus, seine Erkundungsreise in die südliche Richtung der Anden auf der "Straße der Vulkane". Ich fühle mich ganz ähnlich überwältigt von der atemberaubenden Schönheit dieser Landschaften, die in meditativer Weise einströmen und mich beruhigen.
Ich erinnere mich an diesen besessenen Naturforscher, die Pflanzenwelt vollständig zu erfassen und mache ein paar Fotos für ihn ... ist heute viel einfacher! Aber kein Bild, keine Zeichnung, kein Foto wird den wirklichen Zauber je erfassen, den das menschliche Auge vor sich sieht!
Während meiner Wanderung weht ein kräftiger Wind, der den staubigen Aschesand mächtig aufwirbelt. So eingestaubt von Kopf bis zu den Schuhen, aber selig und überaus glücklich kehre ich heim, falle ziemlich hungrig über meinen vegetarischen Burrito her und belohne mich im Café "Muyu" in der Calle Sucre mit einem Schokoladenkuchen und exzellenten Kaffee.
Durch indigene Dörfer
Die Reiseagentur Runa Tupari
("bedeutet: "Treffen mit indigenen Menschen") bietet seit mehr als 20 Jahren verschiedenste und auch sehr originelle Touren an, die dem fremden Besucher betont in die indigene Kultur und Natur der Andenregion mitnimmt. Die Touren werden von einheimischen Guías begleitet. Für mich um so spannender, weil erfahrungsgemäß diese Reiseführer viel über Traditionen, Zeremonien, Rituale und Heilpflanzen ihrer Inkakultur wissen.
Man berichtet mir von einem äußerst speziellen Angebot, das selbst für mich verlockend klingt, aber ich aus Zeitgründen auslassen werde: Die Agentur vermittelt Begegnungen mit indigenen Familien, mit denen man einige Tage zusammen lebt, dort beherbergt und auch beköstigt wird. Dafür hilft man im Alltag, in der Küche, bei der Arbeit auf dem Feld oder in der Webfabrik (ähnlich der Freiwilligenarbeit) und übt ganz nebenbei Spanisch zu sprechen. Sehr cool!
Bei Interesse einfach mal auf die Website schauen: www.runatupari.com und am besten gleich anmelden! Alles ist auch auf Deutsch beschrieben.
Einer Tour durch indigene Dörfer und zur Laguna Cuicocha schließe ich mich an.
Mit mir erkunden ein rüstiges holländisches Ehepaar die Gegend um die Laguna Cuicocha. Sie sind noch nicht lange pensionierte Lehrer und logieren für drei Tage eben in einer solchen indigenen Familie und sprechen von einer überwältigenden Erfahrung.
Edison, unserer Fahrer lädt mich am verabredeten Treffpunkt in seinen Geländewagen ein und schon bis zum nächsten Halt erzählt er mir Spannendes über die Bedeutung von indigenen Wörtern, die die Vulkane rundherum tragen. Ich lerne das erste Kiwcha-Wort der Otavaleños: Wishi-Wishi (Handy). Nachdem nun die beiden holländischen Reisenden und schließlich auch unser Guía Jhon zugestiegen sind, geht es rauf zur Laguna Cuicocha in 3064 m Höhe.
Der Name diese Kratersees bedeutet "Meerschweinchen-See" (cui=Meerschwein, cocha=See). Das südamerikanische Tier lebte zahlreich in dieser Region, aber wohl eher bekam er diesen Namen, weil eine der zwei Inseln, die aus dieser Lagune ragt, die Bewohner an ein fressendes Meerschwein erinnert. Die Laguna Cuicocha entstand in Folge einer gewaltigen Eruption des Vulkans Imbabura, ist abflussfrei und wird gespeist vom schmelzenden Eis und Schnee am Vulkangipfel. Das Wasser ist mit 8 bis 10 Grad ziemlich kalt und schwefelhaltig, so dass Leben sich niemals dort eingerichtet hat. Sein tiefes Indigoblau widerspiegelt sich im Blau der traditionellen Ponchos, die die Männer hier tragen.
Dieser stille See gilt als heiliger Ort. Er verströmt eine meditative Kraft. Hier finden immer noch indigene Zeremonien und Rituale statt. Während eines der Rituale, einem Reinigungsritual, werden durch die Salbung mit Heilpflanzen des Chamán oder Yachak negative Energien gegen positive ausgetauscht und man badet unter dem kalten Wasser des Sees. Diese Feste richten sich nach dem Sonnen- und vor allem nach dem Mondkalender. Wichtige Feste sind das Inti-Raymi, das Sonnenfest im Juni, das Kuya-Raymi im September, gewidmet dem Mond und der Fruchtbarkeit der Erde. Die Straßen und Plätze, so kann ich sehen werden gerade dafür geschmückt. Die anderen Feste heißen Kapak- Raymi und Pawkar-Raymi. Letzteres ist der ersten Ernte und der Blüte gewidmet.
Die Natur um den See bietet eine unerschöpfliche Auswahl an Pflanzen, die ein Chamán, ein indigener Medizinmann, in seinen Heilzeremonien nutzt oder von den Indigena für die Herstellung von Farben der Webteppiche verwendet werden. Auf einem Spaziergang entlang an den Hängen des Sees zeigt uns Jhon eine Auswahl, erklärt geduldig ihre Namen und wofür sie gut sind. Er erzählt, dass die heutigen Indigena, einige dieser Heilpflanzen noch nutzen. Ich würde meinen, dass es hier wohl glaubwürdigere Heilpraktiker gibt als in meiner Heimat.
Shanshi (Früchte) Shanshi Kalawala
Weiter geht es in die freundliche und gepflegte Stadt Cotacachi, die erstaunlicherweise gar nicht im Lonely Planet Erwähnung findet. Sie beherbergt einige wenige Gebäude im Kolonialstil und ist berühmt für seine feinen Lederwaren, die aus Rindsleder kunstvoll gefertigt werden. Das wohltuend ruhige Ambiente dieses Städtchens verführt uns zum Verweilen bei einer guten Tasse Kaffee und später zu einem leckeren Lunch in einem Lokal, das die einheimischen Kenner Edison und Jhon für uns auswählen.
Jhons Plan ist nun, drei Werkstätten des indigenes Kunsthandwerks zu besuchen. Es macht sehr wohl einen Unterschied, in solchen kleinen Kunstfabriken, die Behändigkeit der Frauen bei ihre handwerklichen Arbeit zu bestaunen und sich vor Ort ein Unikat mit ganz speziellen Wünschen anfertigen zu lassen.
Hier sind wir in der Schmuckfabrik "ANAHI" der Familie Mora in Iluman, deren Schmuck (artesanias en semilla de tagua) aus den natürlichen Stoffen der Palme ("Tahoa") entstehen. Natürlich habe ich nun auch meine persönlich gefertigten Schätze.
In der Webstube dieses Condor geschmückten Hauses im Örtchen Peguche entstehen handgemachte Teppiche in traditioneller Art. Diese wahre Künstlerin zeigt uns eine frühere Art der Webtechnik im Sitzen und mit einigem Kraftaufwand. Die Muster der Teppiche sind über Generationen überliefert und es wird "aus dem Kopf" gewebt. Unglaublich!
Natürlich ist auch hier der maschinelle Fortschritt eingezogen. Heute webt man mit der "maquina". Neben den immer noch aus pflanzlichen Bestandteilen hergestellten Naturfarben, wird die Schafs- oder Alpakawolle auch schon chemisch koloriert. Voilà.
Last but not least...wir besuchen noch die Taller de Instruments Andinos "ÑANDA MAÑACHI". Die Meisterin des Hauses verzaubert uns mit Klängen indigener Instrumente der Anden. Ich finde auch ein paar gelungene Malereien und kann sie auch dieses Mal leider nicht in meinen Rucksack verstauen.
Die Ukulele oder, wie Jhon nun berichtigt, die charango boliviano armadillo wird aus artenschutzrechtlichen Gründen so aus Tiermaterial nicht mehr angefertigt und dient lediglich der Präsentation familiengeschichtlicher Handarbeit.
Hier eine Kostprobe.
Zum Ausklang unserer kleinen Expedition führt uns Jhon, der uns ein vertrauter Begleiter wurde, und uns immer neue spannende Stories über das Leben der idigenen Gemeinschaften erzählt, zum Cascada de Peguche, einem Wasserfall, der nach langer Trockenzeit kläglich daher plätschert. Er liegt in einem idyllischem Erholungspark, ein Ort für die Bewohner Otavalos, die sich hier besonders an Wochen- und Feiertagen zum Picknick mit Familie und Freunden treffen oder feierliche Rituale zu den vier traditionellen Festen im Jahr begehen.
Fue un gran placer de conocer la cultura de Edison y Jhon. Muchas gracias, amigos!
Abstecher nach Ibarra
Ibarra, so las ich gestern in der Lokalzeitung, bereitet gerade die Festlichkeiten anlässlich ihrer Gründung vor 413 Jahren vor. Die Ecuadorianer finden immer einen Grund zum Feiern.
Als Humboldt fünf Jahre Südamerika bereiste, traf er in Großkolumbien, heute in Ecuador, zuerst in der Stadt Ibarra ein.
Ibarra ist Hauptstadt der nördlichen Provinz Imbabura und wie alle diese Städte einfach nur laut und besonders geschäftig. Man erreicht sie per Bus nach etwa 30 Minuten
(0,75$) vom Terminal Terrestre in Otavalo aus. Ich finde ein paar wenige Gebäude im kolonialem Stil. Neben dem alten historischen Gebäude der ersten Eisenbahnstrecke Ecuadors steht nun ein neuer modernerer Bahnhof, die eine erst kürzlich eröffnete Bahnstrecke vom Norden über Quito in den Süden bedient. Eine wie häufig katholische Kirche schmückt das Zentrum der Stadt. Mir fehlt das traditionelle Ambiente, das mir in Otavalo ein vertrauter Anblick geworden ist.
Ich entdecke wenig "Humboldt", kann mir aber beim Blick über die Stadt hinaus vorstellen, warum der Reisende diese Stadt als Ausgangspunkt für sein Erklimmen der beiden Vulkane wählt, die mitten in ihrem Tal liegt.
Eine Woche in Otavalo geht zu Ende. Alles lief so, wie ich es mir vorgestellt habe. Otavalo erfüllte mir den Wunsch, schnell einzutauchen in die Farben und Facetten meines geliebten Südamerika und die ferne Heimat ohne Traurigkeit loszulassen.
Ich danke Jhon für diesen Reichtum an Wissen über das Brauchtum und die Traditionen der Indigenas im Norden Ecuadors, von denen er alles, mein unermüdliches Fragen geduldig ertragend, preisgab. Er lernte mir etwas Kiwcha und ließ mich den schönen Klang der Sprache ein wenig spüren. Unserer besonderen Freundschaft widme ich einem Artikel in "Begegnungen". Yupaychani, Jhon.
Auf nach Latacunga!
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