"Der Ursprung, ja das eigentliche Wesen der Religion ist der Wunsch ... Was der Mensch sein möchte, aber nicht ist, dazu macht er seinen Gott. - Der Mensch schuf Gott nach seinem Bilde." - Ludwig Feuerbach -
Ich bekenne mich zu meinem selbstbestimmten Leben ohne Glauben und ohne Gott.
Meine Eltern ersparten mir religiöse Taufrituale und biblische Märchenstunden in meiner Kindheit und überließen es vertrauensvoll mir, zu einer Weltanschauung zu finden, die mich frei und offen leben lässt, das Leben zu genießen, es respektvoll mit anderen Menschen zu teilen und die Natur, die uns das kostbare Geschenk, das Leben, ermöglicht, zu verstehen und zu lieben.
"Sei achtsam und kritisch, lerne täglich, bedien dich deines Verstandes - auch wenn er beschränkt ist." ... manche Weisheiten der Menschheit sind universell!
In Lateinamerika sind 'Traditionen' religiöser Welten tief im alltäglichen Leben verwurzelt. Götter, Gottheiten, Aberglaube und anderen Mysterien bestimmen immer noch das Handeln und Tun der Menschen und ... eine besondere Herausforderung für pluralistisch denkende Menschen ... über das Recht auf Leben, auf Bildung, auf Freiheit von jeglicher religiöser Unterdrückung.
Präkolumbianische Statuen aus dem 1. bis 9. Jahrhundert im Parque Arqueológico Nacional in San Augustín in Kolumbien:
Es ist spannend, präkolumbianische Kulturen zu verstehen, in die Naturreligionen der Inka-Völker im 12. bis 15. Jahrhundert und der Maya-Zivilisation seit dem Beginn unseres Zeitalters einzutauchen, Zivilisationen mit einer hochkultivierten technischen Entwicklung und hervorragenden künstlerischen und architektonischen Fähigkeiten, die Scharren von Wissenschaftlern und Archäologen heute noch Rätsel entschlüsseln lassen.
In jeder dieser Stätten ist der Besucher gefangen vom magischen und geheimnisvollen Zauber:
Inka-Stadt Machu Picchu, Ruinenstädte der Mayas: Tikal im Dschungel Guatemalas und Palenque in Mexiko, Chichén Itzá im Norden der Insel Yucatan.
Und dann kamen die spanischen Konquistadoren im Namen der heiligen katholischen Kirche. Diese dreihundertjährige Missionierung hat die indigenen Völker allenfalls dazu gebracht, ihre Naturreligionen zu assimilieren, aber nicht aufzugeben. Die Seele Patchamama ist tief in der der Virgin Maria verankert. Die Blätter der Coca-Pflanze bleiben zumindest in Peru und Bolivien immer noch eine Opfergabe für einen ihrer Gottheiten und rituelles Symbol.
An manchen Tagen meiner Reisen bin ich fasziniert? entsetzt? erschüttert? unendlich traurig wie gottesfurchtsam und frömmig ergeben das Leben von notleidenden Menschen dem allmächtigen Gott Jesus anvertraut wird und deren Tod vorschnell in dessen Hand gegeben wird: wenn betende Leute über ein schwerverletztes Unfallopfer knien, um Gott um seine schnelle Aufnahme in seinen Himmel bitten statt einen Rettungswagen zu rufen, wenn ein weitgereister Priester aus Deutschland (!) es dringender findet, in einem Krankenhaus sofort eine Messe zu halten, statt das gläubige Krankenhauspersonal Kinderleben retten zu lassen, wenn sonntags in einer unermesslich prachtvollen Kirche eine dreistündige Messe (spanischer Bischof!) zelebriert wird statt die Einwohner den wundervollen Reichtum der Natur genießen zu lassen, um wohltuende Inspiration und Erkenntnis bei Spaziergängen in ihr zu erfahren.
Osterprozession in Quito...im Namen der Kirche?
Warum brauchen die Menschen Lateinamerika so sehr diesen christlichen Allmächtigen? Die Kirche im Namen Jesus oder sonst eines christlichen Abbildes hat diesen wohl u.a. gerade an diesem Fleck der Erde erfunden, weil die Indigenas sich sehnen nach Hoffnung bei Krankheit und Leid und einen Mächtigen brauchen, der sie vom Elend befreit. Mangelnde Bildung und Wissen beschränken ihre Erklärungsmöglichkeiten. Die Missionierung, die auch bis zur Gegenwart immer noch mit Penetranz natürlich in spanischer Sprache betriebenen wird, zerstört und unterdrückt Traditionen, einheimische Stammessprachen und Naturreligionen. Mehr noch ... sie nimmt den indigenen Völkern Stolz, Würde und ihre Identität. Was für eine arrogante Vermessenheit im Namen der Kirche!
Und dennoch scheint es mir vermessen, indigenen Menschen ihre Art von Lebensglück abzusprechen, das viel bescheidener und zufriedener gefunden wird. Es wird für das Leben, für die Familie gearbeitet, nichts wird angehäuft. Vielleicht sollte ich es weniger mit unseren Lebensansprüchen vergleichen. Bei diesen Menschen hier mein Leben zu entschleunigen, bedeutet auch immer mich vom enormen Konsumzwang meiner hochtechnisierten Heimat zu erholen und mich mal zu erden auch in Bezug auf meine "Nöte".
La Antigua in Guatemala: Im 17. und 18. Jahrhundert ein wohlhabender spanischer Außenposten. Hier begann der Aufstieg der katholischen Kirche zur machtvollen Instanz...
... bis ein Erdbeben am 29. Juli 1773 ( ... und nicht Gottes Zorn über "ungläubige" Einwohner... ) die Stadt vollkommen zerstörte, die zuvor kolonialgierig auf einer aktiven Vulkankette erbaut wurde. Die kirchlichen Bauten erscheinen heute eher als ein Mahnmal und mahnen vielleicht erhobenen Fingers, Wahrheiten statt Mysterien zu leben.
" Die Wirklichkeit hat ihre eigene Magie." - Richard Dawkins -
Ich stehe Menschen mit religösen Ansichten durchaus nicht feindlich gegenüber. Gerade weil die Religion ja von Menschen selbsterschaffen wurde, ist es doch wichtig, alle Werte zu vereinen, die für eine gerechte und friedliche Welt arbeiten und die Schwachen der Gesellschaft stärken....Ich denke, dass das liberale und menschliche Gläubige genauso leidenschaftlich tun.
Hermana Mónica lernte ich auf der Kinderstation des Kinderkrankenhauses Baca Ortiz in Quito kennen. Als ich von der Möglichkeit einer Freiwilligenarbeit dort erfuhr, sagte ich sofort zu. Mich reizte auch mal eine andere Tätigkeit außerhalb der Schule kennenzulernen.
Die Ordensschwester hatte in jahrelanger aufopferungsvoller Arbeit mit Hilfe von Spenden eine kleine Kinderbetreuungsstation liebevoll eingerichtet. Sie betreut, bespielt und versorgt Kinder, die hier medizinisch versorgt werden müssen und deren Eltern, die von weit her und aus schwer zugänglichen Gebieten rund um Quito kommen und etwas zu essen brauchen. Es sind Kinder, die kontaminiertes Wasser aus Flüssen und Seen getrunken haben... behinderte Kinder, Vergewaltigungsopfer, traumatisierte Kinder, Kinder mit längst beherrschbaren Kinderkrankheiten, wenn es dann auch die notwendigen Impfstoffe rechtzeitig gäbe... Kinder, die in einem erbärmlichen gesundheitlichen Zustand sind und viel Liebe, Zuwendung und ermutigende Worte brauchen. All das hatte Hermana Monica unermüdlich, ausreichend , ja fast schier unerschöpflich mit großem Herzen und immer zuversichtlichen Lächeln in sich und jeden Tag zu bieten.
Alles Leid schien für Monica annehmbar, so lange es jemanden gab, der sich darum kümmerte und Anteil nahm, es linderte. Monica führte mich durch die Bettenstation, in der Eltern bei ihren Kindern waren, um sie zu versorgen, medizinische Unterstützung gaben. Eine Mutter beatmete per
Hand(!) mit einer Beatmungsmaske ihr zu früh geborenes Baby, das eigentlich einen Brutkasten brauchte, eine andere benetzte die Lippen ihres Sohnes, der heftigste Verbrennungen am offenen Feuer erlitten hatte. Monica tröstete Mütter und Väter, die ihre Kinder verloren ... nicht, weil eine Operation nicht gelang, sondern mangelnde Hygienebedingungen, ihre Kinder an Infektionen sterben ließen.
Aus der Bettenstation kamen sie zu uns, um beim Spielen, Singen und Erzählen ihren Schmerz und ihre Nöte einen Augenblick lang mal zu vergessen.
Monica zeigte mir, welche Spenden helfen ... und ich gab sie ihr gern. Seit dieser Zeit packe ich immer etwas in meinen Reisekoffer. Es ist so unendlich befriedigend, ein trauriges Kindergesicht glücklich strahlen zu sehen.
Monica gibt den großen Teil ihres Lohnes der Wohltätigkeit und lebt in aller Bescheidenheit und an freien Tagen "in silencio" mit Gott, wie sie mir erzählte.
Monica ist für diese Kinder ein wahrer Engel...und für mich ebenso. Wir sehen uns... in der Outzeit 2019!
"Was nützt mein Herz, wenn deins nicht mitschlägt, mitgeht, mitleidet, mitbebt?"
- Casper-
Meiner tiefen Überzeugung nach finden wir die Kraft , das Leben glücklich zu leben, nur in uns selbst. Sie findet zu Stärke erst allmählich durch Glücksmomente, die wir erleben, aber auch im Scheitern, das wir annehmen und aushalten lernen, mit den Fehlern, die uns passieren (ich bereue keinen meiner vielen Fehler), damit sie uns auf die richtige Spur bringen, mit den Menschen, die uns begegnen. Die einen, die uns mögen ... und die wir mögen, geben uns Geborgenheit und die anderen, die uns enttäuschen und von denen wir uns lieber distanzieren, weil sie uns nicht guttun.
Wir finden Halt in der Familie und bei guten Freunden, die uns in unserem Selbstwertgefühl bestärken, uns treu sind in guten und schlechten Tagen.
Die wichtigste Waffe im Kampf gegen Unrecht, fundamentalistischen Unsinn und Glaube ist Wissen, Bildung, kluge Menschen überall und besonders an der Spitze der Gesellschaft, die uns und mit denen wir die Welt erklären, sie immer gerecht bleiben lässt.
Wir müssen uns stets den Freigeist, die Neugier und die Offenheit für unser ganz eigenes und einmaliges Leben bewahren. Hören wir auch ein bisschen auf unser Bauchgefühl, das uns niemals trügt, weil es niemand beeinflussen kann.
Wir sollten der Natur Respekt erweisen, sie schützen aus Dankbarkeit für das Leben, was sie uns ermöglicht und nicht aufgeben, sie zu verstehen.
Der Sinn des Lebens ist zu leben und das war's.
Comments