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AutorenbildSylvia Thiel

Servus, Kurti!

" De Wäid is schee, wei du mit drauf bist."


Will man sich Bayern nähern und in der Tiefe verstehen, lernt man bestenfalls einen waschechten Urbayer kennen.

Kurti kam mir während einer kurzen Rast am kleinen Fischbrötchenimbiss in der Nähe der Fischzucht an der Aumühle in die Quere. Dorthin führte mich eine ins Blaue geplante Radtour entlang der Isar. Kurti - ein so vollkommenes oberbayrisches Urgestein, das mir je in meinem Leben begegnete! Sein geräuschvoller Auftritt gestaltete sich schon einmal trefflich bayrisch: Eine 1200 BMW in weiß-blau-gelben Farbverzierungen, glänzendem Gestänge und geputzten Radfelgen fuhr auf den Parkplatz der kleinen Verkaufsstube ein. Die Bikerkluft glänzte in passenden Farben, der agile Senior stämmiger Natur schien ebenfalls Lust auf

eines der köstlichen Fischbrötchen zu haben und so setzte sich Kurti entschlossen zu mir, um mir als einzigem Gast auf den Bierbänken Gesellschaft zu leisten. Der Bikerbursche erwies sich gleich als sehr redselig, jedoch traf mich der zutiefst bayrische Dialekt wie ein Schlag. In Deutschland deutsch nicht zu verstehen, damit rechnete ich nicht. Kurti sah in mir sofort eine der "Zuagroasten" und schwang um zu milderem Fast-Hochdeutsch. Später, wenn er mir aufgeregt die eine oder andere Neuigkeit erzählte, bat ich ihn, lieber nicht bayrisch mit mir zu sprechen und manchmal ließ ich ihn doch einfach "grantln" und "ratschn" ohne wirklich zu verstehen, weil es mir gefiel dieser fremdländisch klingenden bayrischen Heimatmelodie zu lauschen. Schee woars.

Wir quatschten über das für Kurti so ferne Berlin und überhaupt hatte er über die "Leit" dort nur Merkwürdiges gehört. Die Fremde liegt hinter den Bergen der Alpen im Süden und in hinter der fränkischen Hügellandschaft im Norden. Sie versperren vielen Bayern wohl den weiten Blick auf den Horizont dahinter. Lauert dort für sie und für dich Kurti zu viel Unbekanntes, was die Neugier in euch weckt, aber bisweilen vielleicht auch Angst einflößt?

In ungezwungener berlinerischer Manier duzte ich Kurti, was ihn wohl erstaunte, denn er blieb ausgewählt höflich beim Sie. Alle meine berlinerischen Anekdoten nahm er etwas verwundert und dann wieder auch gleichmütig zur Kenntnis.

Dass ich kein E-Bike fuhr, ließ ihn mein Alter sicher auf unter sechzig schätzen. Akribisch bemühte er sich, mir den Rückweg zu beschreiben, ja sogar die Straße "freizufahren", damit ich ganz sicher nach Hause zurück (oder AUS) Bayern herausfand? Ich fand es sehr rührend.

Doch das Schicksal des Tages wollte es, dass er wenig später erneut mit seinem imposant brummenden Gefährt aufkreuzte, als ich gerade Platz in einer Grünwalder Eisbude genommen hatte. Beim Eis schlecken plauderten wir eine Stunde lang über unser beider Leben bis auch hier schließlich mir Kurtis Superbike mir den Weg zurück freibrummte.

Mein GPS-Einstellung bestätigte alles und folgte genau seiner Spur! Na dann!


Kurti, ich habe in meinem ganzen Leben noch niemanden so genüsslich Eis schlecken sehen. I mogs immer wieder sehen! Oft schaute ich auf die sich Eisbuden nähernden Bikerburschen in der Hoffnung, dich, Kurti, so wunderschön zufällig noch einmal zu treffen. Aber solche Zufälle sind bekanntlich einmalig.


Kurti , Jahrgang Ende der 1940ger, war das jüngste von vier Geschwisterkindern, dessen Vater Metzgermeister war und als Beruf in Bayern einen ansehnlichen Ruf genießt. Kurti übernahm später die "Würschtlrei", kreierte eigene Würschtl-Spezialitäten im großen Stil erfolgreich. Zerwürfnisse und unterschiedliche Geschäftsinteressen der Brüder ließen Kurti in Bayreuth mit einer Wurstfabrik unternehmerisch eigene Wege gehen. Letztendlich gab er in den Neunzigern das Metzgereigeschäft auf. Kurti hadert bis heute mit dieser Unternehmerphase seines Lebens, manchmal liegt er nachts schlaflos in Gedanken daran. Bis heute quälen ihn immer wieder Zweifel, etwas nicht richtig entschieden zu haben und im scheinbar ewigen Groll auf seine Brüder, die ihm das väterliche Erbe versagten. Aber die Wege, die wir einst gingen, führen uns zu dem, was wir heute sind. Schau nicht rückwärts, Kurti, schau auf all das, was dir danach gelang und zu neuen erfüllten Träumen verhalf.


Ein echter Bayer lernt in seinem Herzen unbedingt unternehmerisch durch das Leben zu gehen, sein Vermögen für die Familie zu mehren und ein gutgehendes Leben als Vermächtnis weiterzugeben.

Deshalb machte Kurti nun sein langjähriges Hobby, den Motorsport, zum Beruf und gründete Ende der Neunziger seine Entouro-Firma, wo er mit gleichgesinnten passionierten Crossbikern und Rennfahrerfans durch die steinigen Fels- und Waldgebiete der Südtürkei tourt. Er kümmert sich um alles rund um die Reisebuchung und das technische Wohlbefinden der Enduro-Maschinen, aber gelegentlich auch um das Wohl der Bikerburschen und -madels Vorort. Dann genießt er selbst eine Capuccino-Tour auf eines der Enduro-Maschinen durch die felsige Landschaft und die dichten Wälder der Südtürkei. Inzwischen ist diese Firma ein - sein - Familienunternehmen, in der jedes Familienmitglied seine definierte Aufgabe übernimmt und so ihren Zusammenhalt auf eine unverbrüchliche Weise verbindet.


Überhaupt tut sich eine Berlinerin mit dem engverschnürten Gemeinschaftssinn, der den Bayern traditionell und treu abverlangt wird, ein wenig schwer. Im Slogan "Be Berlin" verbirgt sich ganz sicher eine ähnlich eigene, selbstbewusste Identität, aber eben einer Gemeinschaft anzugehören, sehen die Berliner Jungs und Mädels bedeutend lockerer. Alles ist erlaubt, wichtig ist das ganz persönliche Wohlgefühl, "das allet palletti für icke" ist.

Kurtis kleiner Liebling

In Bayern hingegen verbringen die Leute ihre Tage intensiv mit Gedanken und Aktivitäten an, in und für ihre Gemeinschaften. Auch auf Kurti trifft diese bayrische Tugend voll und ganz zu. Seine Gemeinschaften sind seine Firma, die er am Laufen hält, sein Motorradclub, für den er als sportlicher Leiter alle möglichen Attraktionen und Distraktionen organisiert, seine Oldtimertreffen oder -fahrten - da bringe ich langsam etwas durcheinander. Er präsentiert sich bei Werbeauftritte auf Messen und in seiner Partnerfiliale. Nicht zuletzt gehört zum Gesamtbild der Gemeinschaften seine Familie, für die er gern das Papa-Opi-Taxi fährt, den Garten auf Zack hält, für die Sonntagsbrötchen auf dem Tisch sorgt.


Messestand in München

Kurti lebt seine Gemeinschaften mit der Idee für sie große Opfer zu bringen, all seine Zeit zu widmen, für das gemeinsame Anliegen fest zusammenzustehen und immer treu präsent zu sein. Eben ganz im Sinne dieser bayrischen Tugend.

Und nichts, aber auch gar nichts kann die ins Wanken bringen. Komme daher, was da will und wer da will!


Für Besuch aus Berlin wird da auch auf keinen Fall die Agenda geändert. Das musste ich auch durch!

Aber vielleicht ist eine Bayerin und ein Bayer bei so viel Miteinander und Füreinander wunschlos glücklich. "Mia san mia."


So ist es mir (noch) nicht gelungen, mit Kurti zusammen auf den Spuren seiner Berliner Vorfahren zu wandeln. Denn auch diesbezüglich ist er wie alle Bayern und Bayerinnen tendenziell ein Traditionalist und Kurtis Bajuwarisierung ist trotz einer aus Berlin stammenden Mutter vollends geglückt.

Manchmal teilte er mit mir Erinnerungen an seine Mutter, die den wohlklingenden Namen Centa trug und damals mit der Familie in der Joachimsthaler Str. 61, in der Nähe des Kudamms wohnte. Die Mutter arbeitete viel, so dass eher die Kinderfrau Kurti als Kind betreute und herzte. Danke, dass du mir diese "Früher"-Geschichten erzähltest.


Joachimsthaler Straße damals und heute. Anstelle eines Wohnhauses steht hier nun das luxuriöse Waldorf Astoria Hotel.


"Hintam Berg san a no Leit."


Kurti mag wie alle bayrischen Leit außerhalb Bayerns nicht lange sein, und wenn doch, dann ist das Leben dort halt nicht so schön bayerisch dort und nicht wert zu bleiben. Wahrscheinlich verlöre sich ein Bayernbursch tatsächlich im Getümmel des quirligen Lebens der Stadt Berlin, die irgendwie und ganz besonders in den letzten Jahrzehnten immer den Wandel zelebriert. An dieser sturen Unbeweglichkeit über Bayerns Grenzen hinaus, ändern auch nichts die gelegentlichen Reisen von Kurti in die Südtürkei. So gesehen fällt er im Prinzip von den einen Bergen in die anderen. Nun, das frische Berggewässer ist dann halt dieses Mal das lauwarme Wasser des Mittelmeeres.


Bei meinen familiär geprägten Besuchen in München begegnete ich Kurti einige Male. Wir aßen zusammen in der Waldwirtschaft zünftig bayerisch nahe der Großhesseloher Brücke, teilten einen Apfelstrudel im Cafè Piemonte gegenüber vom Sankt Peter, spazierten lange Arm in Arm Richtung Isarauen und im Englischen Garten vertieft in Gespräche über unser Leben und Erfurter Nächte, über unsere Familien, Kinder... Wir entdeckten irgendwann einmal, dass wir beide im Zeichen des Skorpions geboren sind und zumindest dort spürten wir gemeinsame Charaktere: ein bisschen kompliziert, kapriziös und ungestüm zu sein, aber auch leidenschaftlich für etwas oder jemanden brennen zu können.


Die Geschichten und Ereignisse unseres Lebens bringen uns zu dem, was wir heute im Herzen festhalten. Kurti mag nichts mehr loslassen, fühlt sich wohl und hat so sein Tun Tag für Tag, bleibt dennoch neugierig, auf das, was ihm so alltäglich begegnet. Die Beständigkeit seines Alltags, seiner Motorrad-Spezls und seines Familienclans und davon immer wieder zu erzählen, das ist ihm stets wichtig und tut ihm gut.


Ich hatte das Glück, Kurti kennenzulernen, der so stolz und treu zu Bayern, seiner Motorsportleidenschaft und seiner Familie, kurz zu seiner mehr als siebzigjährigen bayrisch geprägten Lebensgeschichte steht.


Kurtis Liebe gehört Bayern und niemanden sonst, oder Kurti?


Manchmal kommt es zu zufälligen Begegnungen, die das Herz erfrischt und auf lange Zeit bewegen.


" Liebe ist, wenn as Herz hoch hupft und as Hirn owe rutscht."








April 2023 bis Juli 2024














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