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AutorenbildSylvia Thiel

Schickeria Bayern

Aktualisiert: 11. Nov.

Es ist schwer auszumachen, warum ich "zugeroaste" Berlinerin vom Bayernland fasziniert und gern auch mit einem schmunzelnden Auge zugleich das bayrische Treiben um mich herum beobachtete.


Mein erster Blick galt allem bayrisch Kulinarischen. Ein Lokal oder Restaurant heißt hier ganz unternehmerisch Wirtschaft und meist gehört zu dieser auch ein geräumiger Biergarten in der frischen Berg- und Wiesenluft.

Staunend schweiften meine Blicke über die üppigen Auslagen der fleisch- und "würschtl"- Büffets der Brauhäuser und Wirtschaften, an denen sich gern Einheimische zum Mittagstisch trafen. Wow! Bei so viel ungehemmten Fleischgenuss schien hier niemand zu ahnen oder die meisten einfach zu ignorieren, dass außerhalb Bayerns Fleischiges nicht mehr so trendy ist. Das ist hier wurscht (und wohl auch Fleisch), aber immerhin ist alles regional bevorzugt.

Aber auch die in Butter schwimmenden Spinatknödel, deftigen Käsespätzle und die vielen Brezelsorten und Topfenstrudelgenüsse verführten ungebremst zum Verkosten bis der vegetarisch getrimmte Magen streikte. Kurzum die Kochkünste hierzulande sind mitunter eine echte digestive Herausforderung.


Im Gegensatz dazu verströmen aus den "Wirtschaften" Berlins, genannt die Kneipen, die (Sterne-) Restaurants, die Cafés, die Döner-Buden und die Barbecue-Parks unzählige Nuancen kulinarischer Gerüche und Genüsse: die von Fine Diner jeglicher Sternezahl über die von Streetfood-Festivals, die von Hausgemachtes in Parks bis die von Fastfood-Drehspießen - kurz von der berliner und Allerweltsküche. Für Karnivore, Vegetarier, Veganer, Pescetarier und ja auch für fleischlustige Bayern findet jeder seinen passenden Napf.

Mehr und mehr finden die Berliner Leute auch ein Cooking evening daheim im Freundeskreis "janz dufte".

Nirgendwo anders wurde ich zu einer so bereitwilligen Biertrinkerin wie in den Wirtshäusern und in den Biergärten Münchens im schunkellustigen Ambiente. Da hatte ich geschmacklich oft die Qual der Wahl bei dem starkprozentigen kräftigen Biergebräu einst erfunden in den bayrischen Mönchsklöstern. Im Kloster Andechs genoss ich ein köstliches Alkoholfreies, cuvée Gehopftes natürlich, das beste ever. Und was so gar nicht dem typischen Oktobermaßbier-Klischee entspricht, das ist der großzügige Preis des Glasls in einem Biergarten, der selbst den des schon beinah faden berlinerischen Fassbiers schlägt. "Prosit!"



Auf mehreren Ausflügen in die Umgebung Münchens bestaunte ich malerische Bergpanoramen, Naturschauspiele in intensiven Farbtönen, tiefblau schimmernde Bergeseen. Überall lohnte es sich, auf ein paar Augenblicke innenzuhalten und tief durchatmend zur Ruhe kommen. Die bayrischen Naturschönheiten erschloss ich mir als Berliner Madel gern per pedes und Bike. Bergaufwärts spürte ich mit einiger Scham meine stets ungeübten kurzatmigen Schritte. Nichts ging mehr so leichtfüßig wie im flachländischen brandenburgischen Gefilden. Da fehlte mir wohl die Anatomie der bayrischen Wadenbeine und das Lungenvolumen, das in der Frischluft der Berge sich stetig vergrößert. Über meine konditionellen Schwächeleien schien sich selbst das weidende Kuhvolk zu mokieren, die sich unverrückbar auf den Wanderpfaden querstellten und ihre Glocken lauthals plärren ließen. Darauf wusste ich nur mit geübter Berliner Meckerschnauze "blöde Kühe" zu entgegnen, worauf nun wiederum das Rindvieh mit einer Tretmine mitten auf den Weg konterte. "Pass ma uff du!"


Bayernleute sind ohne Zweifel die geübteren Wandersleut, aber noch krachender und protziger "erklimmen" sie ihre Berge mit ihren per akkulebenslangen E-Bikes, auf schwerwiegenden Bikermaschinen, in aufgemotzten Oldtimern und SUVs. "Jo mei!" Nachhaltiger geht´s in einem anderen Leben." Mia wuin Gaudi hom".




München ist eine würdige Landeshauptstadt des Freistaats Bayern. Eine multikulturelle Studentenschaft und Migrationsgemeinschaft erfrischt auf den ersten Blick, auf den zweiten allerdings scheint auch sie weiß-blau eingefärbt im Trachtenlook schon fast culturally appropriated zu betreiben. In München ist es nicht sooo schwierig bayrisch zu verstehen, da es gut vermischt wird mit dem Hochdeutschen und angenehm mit internationalen Akzenten angereichert ist. Nichtdestotrotz bleibt das Bayrische irgendwie dominant und das "gell" zum Abschluss jeder Frage schallt selbst bei meinem in Berlin geborenen Sohn, jetzt gern Münchener, am Ende nach.

Die Grenzen sind den Bayern sicher gut bekannt. In Ferienzeiten scheinen sie sich auszuweiten und temporär neu zu formieren. Und bei einem Kurztrip nach Südtirol oder zum Gardasee bin ich nicht sicher, ob die Grenze schon passiert ist.

Zumindest verändert sich der Klang der Sprache kaum, was nicht verwundern muss, da tatsächlich in der früheren Geschichte der bayrischen Gebietsfindung deren Ausmaße bis zum Mittelmeer gereicht haben sollten.


Alles in allem, Bayern ist doch vollkommen, oder? Der bayrische Kabarettist, Schauspieler und Autor Bruno Jonas meint sogar, dass "...Vollkommenheit in Bayern steigerbar" ist. (Bruno Jonas: Gebrauchsanweisung für Bayern, München 2021, S.15/16.) Joa, irgendwie schon...


Fuhr ich mit der Münchener U-oder S-Bahn, fiel mir sofort das blitzblanke Interieur auf, der so frischgewischte Boden, dass selbst die Schuhe der Mitreisenden nicht wagten, Spuren zu hinterlassen und es schien ein duftversprühendes Hygienemittel für einen durchgehend angenehmen Wohlgeruch zu sorgen. Im Gegensatz zu Berlin, wo mich bei Eintritt in den Waggon mollige Luft begrüßt, der Sitz befreit werden muss, von liegengelassenen Müll freundlicher Mitfahrenden und die musealen, manchmal 70 Jahre alten Züge schwerfällig über die Gleise zuckeln. Besserung wird immer wieder versprochen und regelmäßig verschoben. Dit is uns schnurz piepe! Ejal!


Warum nur überkommt mich dann nach kurzer Zeit so überaus edlen Lebensgenusses das Gefühl, Bayerns ein wenig überdrüssig zu sein.

Bei allgegenwärtigen Streben in Bayern nach dem perfekten Glück und der höchsten Lebensqualität vermisste ich hin und wieder Normalität, die Messlatte für das Glücklichsein weiter nach unten zu legen, mich bescheiden mit weniger zu begnügen, nicht so in Traditionen zu erstarren, ich sein zu dürfen und jo mai, eben auch unvollkommen.

Fast vermisse ich schon die unperfekte Welt meiner Heimat Berlin, die mir wandelbar, veränderbar und so viel freier erscheint.

Ich bin eben doch eine Bärlinerin. Jut so!
















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